Hermann Vallentin ca. 1906 oder früher; Urheber: Unbekannt; Quelle: www.cyranos.ch; Foto auch veröffentlicht in der Zeitschrift "Berliner Leben" (Heft 11, 1906) Hermann Vallentin wurde am 24. Mai 1872 als Sohn des Holzhändlers und Fabrikbesitzers Felix Vallentin in Berlin geboren. Aufgewachsen in einer gut situierten Familie, ließ sich der ältere Bruder der Schauspielerin, Kabarettistin und Chansonničre Rosa Valetti1) (1876 – 1937) nach einer kurzen Betätigung im elterlichen Betrieb am "Königlichen Schauspielhaus"2) in Berlin von dem Charaktermimen Max Grube2) (1854 – 1934) sowie dem damaligen Intendanten Hans Oberländer zum Schauspieler ausbilden; parallel dazu volontierte er bereits am "Königlichen Schauspielhaus". 1893 wurde Vallentin Ensemblemitglied des "Centraltheaters", wechselte im darauffolgenden Jahr an das "Coburger Hoftheater", mit dem er einen ersten Auslandsaufenthalt während eines Gastspiels in London verbrachte. Zur Spielzeit 1894/95 an das über die Grenzen Schlesiens hinaus angesehene "Lobe-Theater" in Breslau verpflichtet, konnte er bei seinem dortigen Debüt sowohl in Lustspielen als auch Dramen überzeugen, so als Mittelbach und junger Schwiegersohn der Titelfigur in "Der Herr Senator" von Franz von Schönthan und Gustav Kadelburg sowie als in die Heimat zurückgekehrter Reservist Moritz Jäger in dem Hauptmann-Schauspiel "Die Weber". Weitere Theaterstationen wurden in Berlin das "Theater des Westens" (1896) und das "Lessingtheater" (1897) sowie das "Hoftheater" in Wiesbaden (1898), wo er bis 1906 auf der Bühne stand.
 
 
Hermann Vallentin ca. 1906 oder früher
Urheber: Unbekannt; Quelle: www.cyranos.ch
Foto auch veröffentlicht in der Zeitschrift "Berliner Leben" (Heft 11, 1906) → Wikipedia
Anschließend zog es Vallentin wieder nach Berlin an das "Königliche Schauspielhaus", hier wirkte er bis 1914 für weitere acht Jahre. Zwischen 1920 und 1932 berief ihn Max Reinhardt2) (1873 – 1943) immer wieder an seine Bühnen, wo er vor allem am "Deutschen Theater" Erfolge feierte. So unter anderem als Polizeiaufseher Stepán Iljítsch Uchowjórtow in Nikolai Gogols Komödie "Der Revisor", über den der Theaterkritiker Herbert Ihering im "Berliner Börsen-Courier" (30.04.1925) damals schrieb: "Erstaunlich, wie er zu einer fast phantastischen, fast unheimlichen Wirkung kam, obwohl er für diesen korrumpierten Kleinstadttyrannen nichts anderes tat, als seine unbeirrbare Routine mit Intensität und Energie zu füttern."***)
  
Begonnen hatte Vallentin seine schauspielerische Karriere als jugendlicher Charakterdarsteller und im Rollenfach des leichtlebigen, eleganten Mannes, auch mit komischen Parts konnte er sein Publikum begeistern. Eine seiner herausragenden Interpretationen war die des unterdrückten und eher unsympathischen jüdischen "Winkeljournalisten" Schmock in Gustav Freytags Lustspiel "Die Journalisten", auch in Operetten wurde er gefeiert, so 1916 am Berliner "Metropol-Theater" als Graf Boni in der Operette "Die Csárdásfürstin" von Emmerich Kálmán" neben Fritzi Massary in der Titelrolle. In späteren Jahren gestaltete er altersbedingt gesetzte Herren, Väter und Patriarchen jedweder Couleur, Direktoren, Richter und Honoratioren der Gesellschaft. "Die vollblütige Beweglichkeit dieses sehr tüchtigen Schauspielers, seine urtümliche Verstellungslaune, erinnert ebenso an Schildkraut3), wie das Nebeneinander überströmender Gefühlsweichheit und in gefährlicher Ballung explodierenden Jähzorns. (…) Aber die Gefühlsweichheit kann er nicht wie Schildkraut in jene letzte Tiefe führen, wo sie dem Sentimentalen entwächst und etwas Gottähnliches bekommt." notierte 1926 der Dramatiker Julius Bab2).

Wichtige Rolle waren unter anderem der Hofmarschall von Kalb in Schillers "Kabale und Liebe", der Schreiber Vansen in Goethes "Egmont" oder der Kapuziner in Schillers "Wallensteins Lager". An den "Reinhardt-Bühnen" glänzte er zu Beginn der 1930er Jahre unter anderem mit der Figur des Uniformschneiders Wormser in Zuckmayers "Der Hauptmann von Köpenick" (Regie: Heinz Hilpert), den er auch 1931 in der Filmversion von Richard Oswald neben Max Adalbert in der Titelrolle verkörperte. Er gestaltete den Wirt Köchler in dem pazifistisch ausgerichteten Stück "Wunder um Verdun" (Regie: Karl-Heinz Martin) von Hans Chlumberg oder den Dr. Peter in Max Reinhardts Inszenierung von Ferenc Molnárs Komödie "Harmonie". Seine letzte Bühnenrolle in Deutschland vor der Emigration ins Ausland war 1933 der Rechtsanwalt in dem Boulevardstück "Hokuspokus" von Curt Goetz.
Ab 1920 engagierte sich Vallentin auch beim Kabarett, trat in dem von seiner Schwester Rosa Valetti am 23. Dezember 1920 gegründeten, berühmt gewordenen "Kabarett Größenwahn" in den Räumen des ehemaligen "Café Größenwahn"2) auf, das rasch zum Anziehungspunkt der literarischen, politisch links gerichteten Künstlerszene geworden war. Als Rosa Valetti am 19. November 1922 mit "Die Rampe" am Kurfürstendamm ein weiteres Kabarett ins Leben rief, konnte man Vallentin auch dort mit eigenen Songs und Texten erleben. 1932/33 brachte er in Willi Schaeffers "Kabarett für alle" und im "Kabarett der Komiker"2) den Zeitgeist auf den Punkt: "Was interessiert das Publikum? Reparationen, Sanktionen, Inflationen …? Hunger, Elend, Not von Millionen? Daß Tausende im Zuchthaus verrecken? Interessiert das das Publikum? I wo, der nackte Hintern der Anita Berber, der interessiert das Publikum!".***)
Noch während des 1. Weltkrieges begann Vallentin eine zweite Karriere als Leinwanddarsteller und gehörte bis 1933 zu den vielbeschäftigten Publikumslieblingen. Erstmals trat er im November 1914 in dem von Alfred Halm in Szene gesetzten patriotischen stummen Streifen "Das ganze Deutschland soll es sein!" in Erscheinung, zeigte sich in den nachfolgenden Jahren in Melodramen, Kriminal- und Science-Fiction-Stoffen, in denen er meist prägnante Nebenrollen, aber auch schon mal Hauptrollen verkörperte. So mimte er beispielsweise den schließlich dem Wahnsinn verfallenden Wirt Matter in William Wauers Drama "So rächt sich die Sonne"2) (1915) oder den Alkoholiker Kapitän John Riew, der in Walter Schmidthässlers Theodor Storm-Adaption "John Riew – Ein Mädchenschicksal"4)  (1917) die junge Anna Seyers (Dagny Servaes) misshandelt und verführt. "Vallentin variiert im wesentlichen einen Grundtypus: Er ist soignierter bürgerlicher Herr ebenso wie proletarischer Familienvater, "monokeltragender Bankier, Theaterdirektor, Schwiegervater, roh und energisch, aber auch mit der meckernden Stimme eines guten Komikers begabt" (Rudolf Arnheim, 1959). E. A. Dupont setzt ihn in fünf Filmen ein – 1920: "Herztrumpf"5), 1921: "Der Mord ohne Täter"5), 1922: "Sie und die Drei", 1929: Atlantik2) und 1930: "Zwei Welten"5). In drei Filmen F. W. Murnaus liefert er Prototypen seines Fachs: den Landgerichtsrat a. D. in "Schloß Vogelöd"2) (1921), den Herrn Binzer in "Die Finanzen des Großherzogs"2) (1924), einen spitzbäuchigen Gast in "Der letzte Mann"2) (1924). Die bieder proletarische Version ist sein Portier Donath in Fred Sauers "Das Erwachen des Weibes" (1927).

Hermann Vallentin fotografiert von Wilhelm Willinger2) (1879 – 1943)
Quelle: www.cyranos.ch; Angaben zur Lizenz siehe hier

Hermann Vallentin fotografiert von Wilhelm Willinger (1879 – 1943); Quelle: www.cyranos.ch
Als Lohnbuchhalter Kremke ist er in dem gleichnamigen Film (1930) von Marie Harder, der Leiterin des Film- und Lichtbilddienstes der SPD, die Inkarnation des Spießbürgers und Biertischphilisters, der Staat und Militär hochhält, sich sicher dünkt und dennoch nach 20 Jahren treuen Dienstes entlassen und arbeitslos wird, seine neue Situation nicht begreift, sich nicht zu wehren weiß gegen Unrecht und ins Wasser geht. Einprägsam auch Vallentins Interpretation des buckelnden Uniformschneiders Adolph Wormser in Richard Oswalds Zuckmayer-Verfilmung "Der Hauptmann von Köpenick"2) (1931)." kann man bei CineGraph***) lesen. Verschiedentlich verkörperte Vallentin historische Persönlichkeiten, etwa den Marquis de Mirabeau2) in "Marie Antoinette – Das Leben einer Königin" (1922; Regie: Rudolf Meinert) mit Stummfilmstar Diana Karenne in der Titelrolle, den autoritären Herzog Karl Eugen von Württemberg2) in "Friedrich Schiller – Eine Dichterjugend"5) (1923; Regie/Drehbuch: Curt Goetz) mit Theodor Loos als jungem Friedrich Schiller oder den Professor und Reformator Karlstadt2) (= Andreas Rudolff-Bodenstein von Karlstadt) in dem Biopic "Luther – Ein Film der deutschen Reformation"2) (1927; Regie: Hans Kyser) an der Seite von Eugen Klöpfer. Er spielte prägnante Parts in Literaturadaptionen, etwa in den Gerhart Hauptmann-Verfilmungen "Die Ratten" (1921; Regie: Hans Kobe) und "Hanneles Himmelfahrt"4) (1922); Regie: Urban Gad) oder in der stummen Version von Schillers "Wilhelm Tell"2) (1923; Regie: Rudolf Walther-Fein/Rudolf Dworsky), wo er neben Titelheld Hans Marr und Conrad Veidt (Hermann Geßler) den Burgvogt auf Roßberg Wolffenschießen mimte. Vallentin tauchte immer wieder als Kommissar auf wie in Joe Mays vierteiligem Drama "Tragödie der Liebe"4) (1923) oder dem Sittendrama "Cyankali"2) (1930; Regie: Hans Tintner) nach einem Theaterstück von Friedrich Wolf zum Thema § 218. Letzte, kleinere Auftritte in Kinoproduktionen hatte er in der Komödie "Wenn die Liebe Mode macht"4) (1932; Regie: Franz Wenzler) mit Renate Müller und Georg Alexander sowie in dem Harry Piel-Abenteuer "Sprung in den Abgrund"5) (1933).
 
Mit der sogenannten Machtergreifung durch die Nationalsozialisten floh der als Jude geltende Hermann Vallentin über die Tschechoslowakei zunächst in die Schweiz, inszenierte am Stadttheater in Basel 1933/34 eine Operette. Dann ging er in die Tschechoslowakei zurück, erhielt zur Spielzeit 1934/35 ein Engagement am Stadttheater von Aussig (heute Ústí nad Labem, Tschechien) und gab Gastspiele am Theater in Prag. Seit Anfang Mai 1936 am "Theater an der Wien" verpflichtet, musste Vallentin nach dem "Anschluss Österreichs" bzw. der De-facto-Annexion Österreichs durch das nationalsozialistische Deutsche Reich Mitte Mai 1938 erneut emigrieren. Er reiste wieder in die neutrale Schweiz ein, spielte an den Theatern in Zürich und Basel. Am "Zürcher Schauspielhaus" setzte der von Kollegen liebevoll "Männe" genannten Vallentin 1938 die Komödie "Dyckerpotts Erben" von Robert Grötzsch in Szene, zur Jahreswende 1938/39 zeigte er sich dort in dem musikalischen Lustspiel "Das Ministerium ist beleidigt" (Regie: Leonard Steckel) von Fred Heller und Bruno Engler mit der Musik von Leonhard K. Märker. Wenig später glänzte er neben anderen Exil-Kollegen wie Albert Bassermann, Erwin Kaiser, Leonard Steckel, Karl Paryla und Wolfgang Heinz in "Talleyrand und Napoleon" (auch "Der Mann, der Napoleon schlug"), einer "dramatischen Chronik in Szenen" von Hermann Kesser2).
 
Anfang Oktober 1939 entschloss sich Vallentin zur Auswanderung in das unter britischem Mandat stehende Palästina, konnte hier jedoch wegen mangelnder hebräischer Sprachkenntnisse als Schauspieler nicht Fuß fassen. Er gab Rezitationsabende unter anderem mit Werken von Goethe, Heinrich Heine, Alfred Polgar, Kurt Tucholsky, Detlev von Liliencron und Theodor Herzl. Während des 2. Weltkrieges war er regelmäßig für das deutschsprachige Programm von "Radio Jerusalem" tätig, brachte dort eigene Lieder und Verse zu Gehör oder rezitierte Gedichte, die in modernisierter Form Bezug auf aktuelle politische Ereignisse nahmen. Auch als Sprecher deutschsprachiger Nachrichten war er zeitweise im "Palestine Broadcasting Service" (P.B.S.) zu hören. Darüber hinaus veröffentlichte er kurze Beiträge in der seit 1942 von Arnold Zweig2) und Dr. Wolfgang Yourgrau2) in Haifa herausgegebenen deutschsprachigen Exil-Wochenzeitschrift "Orient", geprägt von dem Versöhnungsgedanken mit den Arabern und einen bi-nationalen Staat aus Arabern und Juden. Aufgrund zionismuskritischer Positionen, wurde das Blatt zur Zielscheibe militanter Zionistenverbände und musste 1943 geschlossen werden.
Nur wenige Monate nach Kriegsende starb Hermann Vallentin am 18. September 1945 im Alter von 73 Jahren in Tel Aviv (heute Israel).
Seine Nichte Lotte Stein1) (1894 – 1982) machte sich ebenfalls einen Namen als Schauspielerin.
Quellen (unter anderem)*) **): Wikipedia, www.cyranos.ch sowie
CineGraph – Lexikon zum deutschsprachigen Film, LG 15***)
Siehe auch tls.theaterwissenschaft.ch
**)
Fotos bei www.virtual-history.com
*) Kay Weniger: Es wird im Leben dir mehr genommen als gegeben … Lexikon der aus Deutschland und Österreich emigrierten Filmschaffenden 1933 bis 1945. Eine Gesamtübersicht. (ACABUS Verlag, Hamburg 2011, S. 517 ff)
**) Thomas Blubacher: Hermann Vallentin, in: Kotte, Andreas (Hg.): Theaterlexikon der Schweiz (Chronos Verlag, Zürich 2005, Band 3, S. 1992–1993)
***) CineGraph LG 15 mit den Quellen:
  • Julius Bab: Rosa Valetti und Hermann Vallentin oder Geschwister spielen. In: J. B.: Schauspieler und Schauspielkunst (Berlin: Oesterheld 4. erw. Aufl. 1926, S. 68–74)
  • Eugen Schmahl: Hermann Vallentin. In: "Funkköpfe. 46 literarische Porträts"; Hg. v. Karl Wilczynski. Berlin: Verlag "Funk-Dienst" 1927 (S. 137–138)
Link: 1) Kurzportrait innerhalb dieser HP, 2) Wikipedia, 4) Murnau Stiftung, 5) filmportal.de
3) gemeint ist Rudolph Schildkraut (1862–1930); Link: Wikipedia
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