Wolfgang Zilzer erblickte am 20. Januar 1901 im
US-amerikanischen Cincinnati (Ohio) das Licht der Welt, da sein Vater,
der Schauspieler Max Zilzer1) (1886 1943),
zu dieser Zeit an dem dortigen "Grand Opera House" engagiert war. Kurz nach der Geburt
verstarb die Mutter, 1905 (nach anderen Quellen 1904) kehrte Max Zilzer mit seinem kleinen
Sohn nach Deutschland zurück. Hier avancierte der inzwischen Sechsjährige
rasch zum beliebten Kinderdarsteller, gab bereits 1907 am Theater in Rathenow
in Ibsens Drama "Ein Volksfeind" sein Bühnendebüt. Auch während
der Schulzeit am Gymnasium in Berlin-Steglitz übernahm Wolfgang Zilzer
immer wieder Aufgaben in Theaterstücken, konnte sich dann Ende der 1910er Jahre in Berlin
endgültig als Theaterschauspieler etablieren. Zilzer erhielt
Engagements am "Theater an der Königgrätzer Straße", wo er
erstmals 1918 als König Eric in Strindbergs Historiendrama "Die
Folkungersage" Aufmerksamkeit erregte. Im Laufe der Jahre wirkte Zilzer
unter anderem an der "Volksbühne" (19221924), an den "Saltenburg-Bühnen" (1926/27),
am "Theater am Admiralsplatz" (1927/28), am "Thaliatheater" (1929/30) und
an den "Barnowsky-Bühnen" (19291931). Daneben
machte er Ausflüge auf die Kleinkunst-Bühne, trat beispielsweise in den von
Rosa Valetti geführten literarisch-politischen Kabaretts "Die "Rakete"
und "Die Rampe" sowie Trude Hesterbergs "Wilde Bühne" auf. 14-Jährig kam Wolfgang Zilzer erstmals mit dem noch jungen Medium Film
in Berührung und stand für den von Rudolf Del Zopp gedrehten Streifen
"Überlistet" (1915) erstmals vor der Kamera. Es folgten stumme
Geschichten wie "Der Barbier von Flimersdorf"2) (1915)
oder die Detektiv-Story "Die Spinne"1) (1917)
mit Alwin Neuss als Tom Shark1). Bis Anfang der 1920er Jahre wurde Zilzer
meist als zurückhaltend-schüchterner Junge besetzt, später
zeigte er sich in Komödien wie "Venus im Frack"2) (1927),
Melodramen wie "Die Carmen von St. Pauli"2) (1928)
oder Literaturadaptionen wie "Alraune"1) (1927)
und Jacques Feyders Émile Zola-Verfilmung "Thérèse
Raquin"1) (1928, auch " Du sollst nicht ehebrechen!"),
wo er den den ungeliebten Ehemann der Titelheldin (Gina Manès) mimte. Mehrfach
gehörte er mit prägnanten Rollen zur Besetzung der von Adolf Trotz
inszenierten sozialkritischer Produktionen, spielte in "Das Recht der Ungeborenen"3) (1929)
um den Abtreibungsparagraphen und in "Jugendtragödie"3) (1929) um
einen auf die schiefe Bahn geratenen Jugendlichen. In Georg Asagaroffs
Fürsorge-Drama "Revolte im Erziehungshaus"3) (1930) war er
einer der Jungen, die in der Anstalt lieblos und brutal behandelt
werden.
Im Tonfilm konnte Zilzer aufgrund seiner Bühnenerfahrung problemlos Fuß
fassen, trat in Lustspielen wie "Schneider Wibbel" (1930),
Melodramen wie "Boykott"3) (1939, auch "Primanerehre")
oder sozialkritischen Stoffen wie "Razzia
in Sankt Pauli" (1932) in Erscheinung. Der Entschluss, Anfang der 1930er Jahre in Hollywood sein Glück zu versuchen,
blieb zunächst erfolglos, Zilzer
wurde lediglich in deutschsprachigen Fassungen amerikanischer Filme mit
kleineren Parts beschäftigt und kehrte nach Deutschland zurück. Der
Aufenthalt war nur von kurzer Dauer, mit der sogenannten Machtergreifung der
Nationalsozialisten geriet der Schauspieler mit jüdischen Wurzeln in den Fokus
des Nazi-Rassenwahns und floh wenig später über Wien zunächst nach Paris, wo
er sich bei einem von ihm mitgegründeten, deutschsprachigen
Emigranten-Kabarett engagierte. Nach einem erneuten Deutschland-Aufenthalt (19351937) in dieser Zeit
engagierte er sich im "Jüdischen Kulturbund" und im
"Paulusbund" verließ Zilzer Hitler-Deutschland endgültig. Über Antwerpen gelangte er am 11. April 1937 in
die USA, wo ihm Ernst Lubitsch noch im selben Jahr Zugang zum Hollywood-Film ermöglichte.*)
In Lubitschs Screwball-Komödie "Blaubarts
achte Frau"1) (1938, Bluebeard's Eighth Wife)
mit Claudette Colbert und Gary Cooper hatte Zilzer zwar nur einen winzigen
Part, konnte sich nun aber in der Hollywood-Szene etablieren. Es folgten
Auftritte in einer Reihe Anti-Nazi-Produktionen, etwa in Anatole Litvaks "Ich
war ein Spion der Nazis"1) (1939, Confessions of a Nazi
Spy) oder Lloyd Bacons "Espionage Agent"4) (1939).
Um seinen nach wie vor in Berlin lebenden Vater nicht zu gefährden,
wählte Zilzer das Pseudonym "John Voight", später "Paul Andor".
Dennoch geriet 1943 ein Foto von Zilzer aus dem Streifen "Confessions of a Nazi Spy"
in die Hände der Gestapo, Vater Max Zilzer wurde nach seiner Verhaftung
mit diesem Foto konfrontiert und brutalen Verhörmethoden unterzogen, deren
Folgen er vermutlich nicht überlebte. Max Zilzer starb kurz darauf unter ungeklärten Umständen in einem
Krankenhaus.
Wolfgang Zilzer respektive Paul Andor spielte während seiner Zeit in den USA
wie etliche seiner Emigranten-Kollegen meist nur unbedeutende
Chargen-Rollen, zu seiner Filmografie zählen jedoch vielbeachtete Produktionen
wie die von Ernst Lubitsch in Szene gesetzten Komödien "Ninotschka"1) (1939, Ninotchka)
mit Greta Garbo und "Sein
oder Nichtsein"1) (1942, To Be or Not to Be) mit
Carole Lombard, Wilhelm Dieterles Biopic "Paul Ehrlich Ein Leben für die Forschung"1) (1940, Dr. Ehrlich's Magic Bullet)
mit Edward G. Robinson sowie Michael Curtiz' legendärer Kult-Klassiker "Casablanca"1) (1942)
mit Humphrey Bogart und Ingrid Bergman. Obwohl Zilzer in
"Casablanca" nur einen im Abspann ungenannten Mini-Auftritt als "der Mann mit den abgelaufenen
Papieren" hatte bzw. als Résistance-Mitglied gleich zu Beginn des Films
ermordet wird, ist er damit doch bei den Film-Fans in nachhaltiger
Erinnerung geblieben.
Eine seiner wenigen Hauptrollen
war die des Nazi-Propagandaministers Dr. Joseph Goebbels in Alfred Zeislers
"Enemy
of Women"1) (1944). Der Film beginnt im
Vorspann mit folgender Zeile: "Die nachfolgende Geschichte entfaltet das
Privatleben des größten Schurken unserer Zeit." "Zilzers Propagandaminister erscheint hier
als ein rachsüchtiger, unkontrollierter und mit starken Minderwertigkeitskomplexen behafteter Frauenhasser,
der bei Zurückweisung schnell die Fassung verliert."
notiert Kay Weniger.*)
Als nach Kriegsende Hollywood kein Interesse mehr an deutschstämmigen
Charakterschauspielern zeigte, ließ sich Zilzer, seit 1943 mit seiner
ebenfalls in die USA emigrierten Kollegin Lotte Palfi1)
(1903 1991) verheiratet, in New York nieder und nahm seine Tätigkeit als
Theaterschauspieler wieder auf, stand in mehreren Stücken gemeinsam mit seiner
Frau auf der Bühne. Seinen letzten New Yorker Auftritt absolvierte er im März 1965 in Brechts/Weills
"Die Dreigroschenoper".
Ab Mitte der 1950er Jahre kehrte Wolfgang Zilzer immer mal wieder nach
Deutschland zurück und übernahm in Berlin Gast-Engagement unter anderem am
"Deutschen Theater" und am "Theater am Kurfürstendamm".
Im deutschen Nachkriegsfilm zeigte er sich als Vater von Phil Reynolds (Bruno Dietrich) in Jürgen Goslars Krimi "90 Minuten nach Mitternacht"1) (1962)
sowie in Hans Albins kriminalistischem Science-Fiction-Streifen
"Der Chef wünscht keine Zeugen" (1964).
1979 stand er gemeinsam mit seiner Ehefrau Lotte Palfi im Mittelpunkt des
30-minütigen Films "A Private Life" des
russischen Regisseurs Mikhail Bogin über ein jüdisches Emigrantenpaar, seinen
letzten Leinwandauftritt absolvierte der hochbetagtre Schauspieler in Thomas Braschs
psychologischen Studie "Der Passagier Welcome to Germany"1) (1988),
in der Hollywood-Star Tony Curtis eine Hauptrolle übernommen hatte.
Ende der 1980er-Jahre erkrankte Wolfgang Zilzer schwer an Parkinson und kehrte
endgültig nach Deutschland zurück. Seine Ehefrau Lotte Palfi-Andor wollte diesem Schritt nicht
folgen, die Ehe wurde noch kurz vor beider Tod 1991 geschieden.
Die letzten Lebensjahre verbrachte Wolfgang Zilzer in Berlin, wo er am 26. Juni 1991
im Alter von 90 Jahren starb; seine letzte Ruhestätte fand er auf dem Berliner
Waldfriedhof Zehlendorf (Grabstätte 036-324). Lotte Palfi-Andor starb rund
zwei Wochen später am 8. Juli 1991 in New York City.
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*) Kay Weniger: Es wird im Leben
dir mehr genommen als gegeben
Lexikon der aus Deutschland und Österreich
emigrierten Filmschaffenden 1933 bis 1945. Eine Gesamtübersicht. (ACABUS
Verlag, Hamburg 2011, S. 554/555)
**) CineGraph LG 20 mit den Quellen:
- Die Funkstunde als moralische Anstalt. In: Berliner Tageblatt (28.08.1926, Abend-Ausgabe)
- Wolfgang Zilzer. In: Hermann Treuner (Hg.): Wir über uns selbst (Berlin: Sibyllen 1928)
- Mein Sündenregister. In: Die Filmwoche Nr. 28 (1928)
- Meine Biographie. In: Film-Kurier (03.07.1928)
- Dr. W. Lo.: Wolfgang Zilzers Weg. In: Reichsfilmblatt Nr. 22 (04.06.1927)
- Wolfgang Zilzer. In: Die Filmwoche Nr. 8 (1928)
- Manfred Georg: Wolfgang Zilzer. In Karl Wilczynski (Hg.): Funkköpfe. 46 literarische Porträts. Berlin:
Verlag Funk-Dienst 1927
- Lothar Schwab (Hg.): Wolfgang Zilzer (Paul Andor). Berlin/West: Stiftung Deutsche
Kinemathek 1983, (Exil Sechs Schauspieler aus Deutschland), 71 S, (Beiträge von Gero Gandert, Ulrich Kurowski,
Wolfgang Jacobsen; kommentierte Filmografie)
Link: 1) Wikipedia (deutsch), 2) Murnau Stiftung, 3) filmportal.de, 4) Wikipedia (englisch)
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