Filmografie / Hörspiel
Kurt Raab wurde am 20. Juli 1941 als Sohn des Kleinbauern Franz Raab (1901 – 1968) und dessen Frau Juliane (1899 – 1972) im damals böhmischen Bergreichenstein1) (heute: Kašperské Hory, Tschechien) geboren und hatte vier ältere Geschwister. Ab 1945 wuchs er in Bayern auf, zunächst im oberfränkischen Weißenbrunn vorm Wald1), dann im niederbayerischen Steinbeißen, einem Gemeindeteil von Landau an der Isar1), wo sein Vater nach der Vertreibung der Familie aus der damaligen Tschechoslowakei als unter anderem Pferdeknecht arbeitete. Später besuchte Raab in Straubing1) den musischen Zweig des "Deutschen Gymnasiums"1), wo er den Komponisten Wilhelm Rabenbauer alias Peer Raben1) (1940 – 2007) kennen lernte, mit dem er nach dem Abitur 1963 nach München ging. Dort begann er ein Studium der Germanistik und Geschichte, wandte sich dann aber bald dem Fernsehen zu, nachdem er schon während des Studiums als Kabelträger beim Fernsehen des "Bayerischen Rundfunks" gearbeitet hatte; bis 1969 war Raab als Requisiteur für das ZDF und für die "Bavaria Produktionsgesellschaft" tätig. 
Während seiner Münchener Zeit kam er 1966 am "action-theater" mit Rainer Werner Fassbinder1) (1945 – 1982) in Kontakt, der sein langjähriger Weggefährte wurde und mit dem er bis Ende der 1970er Jahre eng zusammenarbeitete.
Sein Debüt als Schauspieler gab Raab 1967 in Peer Rabens "Antigone"1)-Bearbeitung am "action-theater", im gleichen Jahr sah man ihn im Oktober in der Raben/Fassbinder-Gruppenproduktion bzw. dem Stück "Leonce und Lena"1) von Georg Büchner1). 1968 gehörte er neben Fassbinder und Hanna Schygulla zu den Gründern des berühmten "antitheater"1), an dem er in der Folge in verschiedenen Fassbinder-Inszenierungen zu sehen war. So unter anderem 1969 als Mr. Peachum in Fassbinders/Rabens "Die Bettleroper"2) nach "The Beggar's Opera"1) von Johann Christoph Pepusch1) (Musik) und John Gay1) (Libretto) oder als Mörder in der Fassbinder-Collage "Pre-paradise sorry now"2). Beeindruckend war Raabs schauspielerische Leistung mit der Titelrolle in Fassbinders "Warum läuft Herr R. Amok?", einem Part, den er in der gleichnamigen Verfilmung1) (1970) ebenfalls übernahm. 1971 wechselte Raab an das" Theater Bremen"1), 1972 ging er zusammen mit Fassbinder an das "Schauspielhaus Bochum"1), ein Jahr später sah man ihn ab Dezember 1973 in Fassbinders Inszenierung des Dramas "Hedda Gabler"1)von Henrik Ibsen1) an der Berliner "Freien Volksbühne"1) neben Protagonistin Margit Carstensen.
 
Hervorzuheben ist neben ca. 20 Theaterproduktionen Raabs Filmarbeit mit Fassbinder sowohl in Fernseh- als auch Kinoproduktionen: In der Zeit von 1969 bis 1982 wirkte er bei rund 30 Fassbinder-Filmen mit, nicht nur als vielschichtiger Darsteller und Ausstatter, sondern zum Teil auch als Drehbuchautor, Regieassistent und Produktionsleiter. "Unter den Planeten, die die Sonne Fassbinder umkreisten, war er vielleicht der wichtigste, gewichtigste, eigenständigste; ihre spannungsreiche Beziehung hat Kurt Raabs Künstlerbiographie geprägt. (…) Raab schuf die dumpfe Spießigkeit und den schrillen Kitsch der typischen Fassbinder-Innenräume (…) und er prägte als Schauspieler – ein etwas schwerfälliger, wie in seinem Körper gefangener Mensch mit seltsam stechendem Blick – einen sehr eigenen Typus des Unglücksmenschen, des verquälten und quälerischen Kleinbürgers, der irgendwann explodiert" schrieb DER SPIEGEL (27/1988) zum Tode Raabs in einem Nachruf.
So erlebte man ihn unter anderem auf der Leinwand in "Warum läuft Herr R. Amok?"1) (1970) mit der Titelrolle eines Mannes, dessen Alltagsleben trostlos und eintönig ist, als Bruder der titelgebenden Figur bzw. des eiskalten Killers Ricky (Karl Scheydt1)) in "Der amerikanische Soldat"1) (1970), als Fred in "Warnung vor einer heiligen Nutte"1) (1971), als karrieristischen Ehemann Kurt in "Händler der vier Jahreszeiten"1) (1972), oder als Barkeeper Gustav in "Mutter Küsters' Fahrt zum Himmel"1) (1975). In der schrillen Komödie "Satansbraten"1) gab er 1976 beeindruckend den anarchistischen Dichter Walter Kranz.
Bolwieser; Copyright Einhorn-Film

Im Fernsehen stand Raab beispielsweise als Bischof in "Die Niklashauser Fart"1) (1970) vor der Kamera, mimte einen Tankwart in "Rio das Mortes"1) (1971), den Harald in dem Mehrteiler "Acht Stunden sind kein Tag"1) (1972), einen Fabrikboss in "Wildwechsel"1) (1973) oder den Mark Holm in dem Zweiteiler "Welt am Draht"1) (1973). 1977 glänzte er mit der Titelrolle in seinem wohl wichtigsten Fassbinder-Film, dem  zweiteiligen Bayerischen Kleinstadt-Drama "Bolwieser"1), mit dem Fassbinder nach dem Roman von Oskar Maria Graf1) am Beispiel des verblendeten Bahnhofsvorstehers Xaver Ferdinand Maria Bolwieser ein beeindruckendes Bild der kranken Prä-Nazi-Zeit-Gesellschaft nachzeichnete → Übersicht Fassbinder-Produktionen (Kinofilme/Fernsehen).
 
  
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Während und nach seiner Fassbinder-Zeit arbeite Raab mit zahlreichen anderen bedeutenden Regisseuren zusammen: Unter anderem sah man ihn in den vo Reinhard Hauffs1) in Szene gesetzten Filmen "Die Revolte"1) (1969, TV), "Mathias Kneißl"1) (1971), "Die Verrohung des Franz Blum"1) (1973) und "Endstation Freiheit"1) (1980). Mit Ulli Lommel1) drehte er als überzeugender Protagonist nach eigenem Script den Thriller "Die Zärtlichkeit der Wölfe"1) (1972), einer freien Variante um den berüchtigten Massenmörder Fritz Haarmann1), sowie die Satire "Adolf und Marlene"3) (1976), wo er als Partner von Margit Carstensen (Marlene) als Adolf Hitler1) auftrat. Hans W. Geißendörfer1) betraute ihn mit der Rolle des Dr. Krokowski in seiner Adaption "Der Zauberberg"1) (1982) nach dem gleichnamigen Roman1) von Thomas Mann1), Herbert Achterbusch1) besetzte ihn als Poli, versoffener Vertreter der verhassten Polizei, in der tragikomischen Satire "Das Gespenst"1) (1983). Zu Raabs weiteren Kinoproduktionen zählen unter anderem die Satire "Im Himmel ist die Hölle los"1)  (1984), die Komödie "Der Formel Eins Film"1) (1985), die psychologische Studie  "Bittere Ernte"1) (1985) und Urs Eggers1) erster abendfüllender Spielfilm "Motten im Licht" (1986) → filmdienst.de. Einen seiner letzten Leinwandaufritte hatte Raab als Pastor in der Dokumentation von Trini Trimpop1) über die Geschichte der Kultband "Die Toten Hosen"1) von 1982 bis 1988 mit dem Titel "3 Akkorde für ein Halleluja"1) (1989/1991) → Übersicht Kinofilme mit sonstigen Regisseuren. 
Im Fernsehen war Raab beispielsweise in der Comedy-Serie "Der ganz normale Wahnsinn"4) (1979/80) von Helmut Dietl1) neben Protagonist Towje Kleiner1) zu sehen und mimte als Franz den Ehemann von Aline (Barbara Valentin), der Freundin von Gloria Schimpf (Monika Schwarz1)). Mit diesem Part konnte man ihn auch in der Kinoversion erleben, die unter dem Titel "Der Durchdreher"3) am 8. März 1979 an den Start ging. Als Sally Meerschaum zeigte sich Raab in dem von Bernhard Sinkel1) nach dem gleichnamigen Roman1) von Thomas Mann1) mit John Moulder-Brown1) in der Titelrolle inszenierten Fünfteiler "Bekenntnisse des Hochstaplers Felix Krull"3) (1982). Er trat unter anderem mit Episodenrollen in der ganz auf Gustl Bayrhammer zugeschnittenen Serie "Franz Xaver Brunnmayr"4) (1985) und dem Quotenrenner "Detektivbüro Roth" (1986) mit Manfred Krug auf oder mischte in der Kultserie "Kir Royal"1) (1986) als Michel, Butler von Konsul Dürckheimer (Boy Gobert) mit. Raab gehörte zur Besetzung der internationalen Produktion bzw. des Mehrteilers "Ich und der Duce"4) ("Mussolini and I"; EA: ZDF 1988), und stellte unter der Regie von Alberto Negrin1) an der Seite von Bob Hoskins1) als Benito Mussolini1) und Anthony Hopkins als dessen Schwiegersohn Graf Galeazzo Ciano1) einmal mehr Adolf  Hitler dar → Übersicht sonstige TV-Produktionen.
Zudem stand der vielseitige Künstler sporadisch im Hörspielstudio, die bei der ARD Hörspieldatenbank gelisteten Produktionen findet man hier.
 
Wie kein Zweiter verkörperte Kurt Raab den Spießer des deutschen Kinos: Miese Biedermänner, angepasste Opportunisten, passionierte Fieslinge brachte er reihenweise vor die Kamera, manchmal unterwandern allerdings grelle, groteske Züge die Lust am Verschwinden hinter der Rolle. Er sagte selbst: "Ich liebe nichts mehr als plüschige Schwülstigkeit", und diesen Hang rieb er allen seinen unvergesslichen Figuren ein. Andrerseits betonte er immer wieder: "Ich spiele mich nicht selbst", deshalb blieb er mehr als die Summe seiner Rollengestalten: ein Mann mit Mut zum provozierend-schlechten Geschmack.5)
Seine schriftstellerischen Fähigkeiten bewies Kurt Raab mit einer Fassbinder-Biografie: Im September 1982 veröffentlichte er zusammen mit dem Filmkritiker, Schauspieler, Autor und Chefredakteur Karsten Peters1) das Buch "Die Sehnsucht des Rainer Werner Fassbinder", unter dem von Fassbinder verliehenen Kosenamen "Emma Kartoffel" war er Kolumnist für die Filmzeitschrift "Cinema"1). Nur ein einziges Mal stand Raab als Regisseur hinter der Kamera, realisierte mit seinen Protagonisten Udo Kier und Barbara Valentin sowie sich selbst in einer Nebenrolle den "spekulativen Sex- und Gewaltfilm"6) mit dem Titel "Die Insel der blutigen Plantage"1) (1982).
  
In seinen letzten Lebensjahren war Raab noch einige Male am "Deutschen Schauspielhaus"1) in Hamburg zu sehen, doch wurden seine Auftritte immer seltener, nachdem er sich mit der Immunschwächekrankheit AIDS infiziert hatte. Seine Ängste und Erfahrungen als AIDS-Kranker schilderte er in Herbert Achternbuschs1) Film "Wohin?"3) (1988), außerdem drehte er zusammen mit Hans Hirschmüller1) sowie dem Produzenten Hanno Baethe den 45-minütigen Videofilm über sich und sein Leiden unter dem Titel "Sehnsucht nach Sodom" (EA ZDF: 21.03.1989). Der 1990 mit einem "Adolf Grimme-Preis"1) in der Kategorie "Buch" und "Regie" ausgezeichnete Film ist "ein erschütterndes Dokument vom Verfall eines Menschen, zum anderen aber auch ein Zeugnis für die Kraft des Schauspielers Kurt Raab, sein unabänderliches Sterben für die Nachwelt ehrlich und theatralisch zugleich zu inszenieren." notiert deutsches-filmhaus.de. Drei Wochen vor seinem Tod berichtete er in der "NDR Talk Show"1) noch einmal offen über sein Schicksal, bekannte sich zudem freimütig zu seiner Homosexualität und machte sich gegen die Stigmatisierung von AIDS-Kranken stark.
 
Kurt Raab, der 1971 mit dem "Bundesfilmpreis"1) für die "Beste Ausstattung" des Fassbinder-Melodrams "Whity"1) (1970) ausgezeichnet worden war, erlag am 28. Juni 1988 im Alter von 46 Jahren im Hamburger Tropeninstitut1) seiner AIDS-Erkrankung; nach seinem Tod verweigerte die bayerische Heimatgemeinde Steinbeißen seine Erdbestattung. Beigesetzt wurde er in der Grabstätte der mit ihm befreundeten Familie Pagels auf dem "Ohlsdorfer Friedhof"1) in Hamburg (Planquadrat BQ 64) → Foto der Grabstelle bei knerger.de.
"Sein Grab wurde 2013 nach der üblichen Ruhezeit von 25 Jahren aufgelöst. Auf der gemeinschaftlichen Grabstätte "Memento II rechts" (Planquadrat AE 15, nördlich Nordteich beim "Millionärshügel") wird auf einem der Kissensteine unter anderen an Kurt Raab erinnert." vermerkt Wikipedia → Foto bei Wikimedia Commons sowie knerger.de.
Siehe auch Wikipedia, deutsches-filmhaus.de (mit Filmliste (Auszug)),
deutsche-biographie.de, prisma.de, filmportal.de sowie
den Artikel zu, 70. Geburtstag (2011) bei fassbinderfoundation.de
Fremde Links: 1) Wikipedia, 2) thetertexte.de, 3) filmpotal.de, 4) fernsehserien.de
Quelle:
5) "Lexikon der deutschen Film- und TV-Stars" von Adolf Heinzlmeier/Berndt Schulz (Ausgabe 2000, S. 294)
6) filmdienst.de
Filme
Die Filme von/über Rainer Werner Fassbinder: Kinofilme / Fernsehen
Filme mit sonstigen Regisseuren: Kinofilme / Fernsehen
Filmografie bei der Internet Movie Database, filmportal.de sowie
Auswahl bei www.deutsches-filmhaus.de
(Fremde Links: Wikipedia deutsches-filmhaus.de, prisma.de,
filmportal.de, fernsehserien.de, Die Krimihomepage)
Filme von bzw. über Rainer Werner Fassbinder
(A = Ausstattung, B=Bauten, Ra=Regieassistenz)
Filme mit sonstigen Regisseuren (als Darsteller)
(R = Regie)
Hörspielproduktionen
(Fremde Links: ARD-Hörspieldatenbank (mit Datum der Erstausstrahlung), Wikipedia, theatertexte.de, suhrkamptheater.de; R= Regie)
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