Alice und Ellen Kessler gehören wohl zu den berühmtesten Zwillingen im
Showbusiness, ihre Erfolgsgeschichte kann sich sehen lassen. Geboren wurden
sie am 20. August 1936 im sächsischen Nerchau1) mit dem bürgerlichen Namen
Kaessler, die älteren Brüder Gerhard (geb. 1927) und Rolf (geb. 1930)
verstarben in jungen Jahren an Typhus bzw. einer infektiösen Gelbsucht. Vater
Paul, ein Maschinenbauingenieur, war ebenso wie seine Frau Elsa den schönen
Künsten zugetan und förderte seine einzigen Töchter schon früh.
Mit sechs Jahren erhielten die eineiigen Schwestern Ballettunterricht, bereits
fünf Jahre später gehörten sie zum Ensemble des Kinderballetts der
Leipziger
Oper1);
1950 schafften Alice und Ellen die Aufnahmeprüfung an der angegliederten Operntanzschule.
Alice und Ellen Kessler um 1960
Foto mit freundlicher Genehmigung der Österreichischen
Nationalbibliothek1) (ÖNB)
Urheber/Autor: Ungenannt: Datierung: um 1960
© ÖNB Wien; Bildarchiv
Austria (Inventarnummer P 5567)
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Anfang der 1950er Jahre verließ Paul Kaessler die DDR, als die Zwillinge 1952
ihren Vater mit einem Besuchervisum treffen durften, blieben auch sie in der
Bundesrepublik, die Mutter folgte kurze Zeit später. Für die attraktiven,
tanzenden Zwillinge begann nun der Weg zu einer steilen, internationalen
Karriere. Ein erstes Engagement erhielten sie in Düsseldorf am Revuetheater
"Palladium", wo 1953 die damaligen künstlerischen Leiter des weltberühmten Pariser
"Lido"1), Pierre-Louis Guerin
(1906 1982) und René Fraday, auf das Paar
aufmerksam wurde und sie als Verstärkung für die bekannten "Bluebell
Girls" an ihr Varieté verpflichteten.
Von da an war der Siegeszug der Schwestern nicht mehr aufzuhalten, sie tanzten
sich an die Spitze der legendären Truppe, nicht nur in Paris gerieten sie zu
Stars und feierten Triumphe, im Laufe der Jahre wurden die Kessler-Zwillinge
weltweit nicht nur als Tanzstars zum Begriff, auch als Sängerinnen waren sie
überaus erfolgreich. Auf der Bühne, vor allem aber im Fernsehen machten sie
Furore, da sie als erste in den prüden 1960ern auf dem Bildschirm in knapp
sitzenden Kostümen ihre Beine zeigten. Rasch gehörten sie zum festen
Bestandteil der großen, deutschen Unterhaltungsshows beispielsweise von Peter Frankenfeld,
Hans Joachim Kulenkampff oder Peter Alexander, bis weit in die19 80er Jahre gab
es kaum eine populäre TV-Show, in denen sie nicht auftraten. In den USA
gefeiert als "Deutschlands erfolgreichster Exportartikel der
Nachkriegszeit" und perfekte Verkörperung des sogenannten "Fräuleinwunders"
waren sie fester Bestandteil der Shows von Dean Martin
(1917 1995), Perry Como
(1912 2001),
Frank Sinatra
(1915 1998) und Ed Sullivan1)
(1901 1974), Las Vegas und New York wurden bald zur zweiten Heimat der langbeinigen,
1,75 Meter großen, blonden Revuegirls. Hinzu kamen verschiedene eigene
Personality-Shows sowohl in Deutschland als auch in Italien, wo die Zwillinge
zwischen 1962 und 1986 ihren festen Wohnsitz hatten.
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Alice und Ellen Kessler
Das Foto wurde mir freundlicherweise von der Fotografin Virginia Shue
(Hamburg)
zur Verfügung gestellt. Das Copyright liegt bei Virginia Shue.
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Die Erfolgsstory liegt nicht zuletzt in der choreografischen Präzision
begründet mit der die Stars mehr als fünf Jahrzehnte lang Show-Geschichte
schrieben, der Name "Kessler-Zwillinge" wurde zum Synonym für brillant-perfekte Tanz- und Gesangskunst im
Revuestil.
1959 vertraten sie Deutschland beim "Grand Prix Eurovision de la
Chanson" (heute "Eurovision
Song Contest"1)) in Cannes mit dem Titel "Heute Abend wollen wir tanzen
geh'n", landeten damit jedoch nur auf Platz 8. Weitere Schlagertitel, die
gut beim Publikum ankamen, waren in Deutschland beispielsweise "Schreib
mir eine Karte" (1958) sowie in Italien bzw. Frankreich "La notte e
piccola" (1965), "Lascati baciare col letkis" (1966) und
"No capito" (1970). Überdies wirbelten die Zwillinge in musikalischen Unterhaltungsstreifen bzw.
Operettenadaptionen wie
"Der Bettelstudent"1) (1956),
"Vier Mädels von der Wachau"1) (1958),
"Der Graf von Luxemburg" (1957), "Gräfin Mariza"1) (1958),
"Mein
Schatz ist aus Tirol"1) (1958), "La Paloma" (1959),
"Hochzeitsnacht
im Paradies"1) (1962) oder "Der
Vogelhändler"1) (1962) über die Leinwand.
Im Alter von vierzig Jahren ließen sich Alice und Ellen Kessler für die italienische Ausgabe des
"Playboy" ablichten. Das Magazin war innerhalb kürzester Zeit ausverkauft.
In der Talkshow "Beckmann"1) (08.11.2004) erinnerte sich Ellen Kessler
"Die Ausgabe war innerhalb von drei Stunden vergriffen!
Wir waren damals die teutonischen Deutschen, hatten aber nie so viel gezeigt."
Mit zunehmenden Alter verlagerten sie ihre Aktivitäten auf anspruchsvollere Stücke.
1976 traten sie am Münchner "Gärtnerplatztheater"1)
als "Anna I" und "Anna II" in dem Ballett "Die sieben Todsünden der Kleinbürger"1)
von Bertolt Brecht1)
und Kurt Weill1)
auf. Damit konnte die lange geplante Idee verwirklicht werden, ein persönlichkeitsgespaltenes Mädchen von Zwillingen darstellen zu lassen.2)
Zahlreiche Preise belegen die Popularität bzw. Leistungen der Ikonen der deutschen Fernsehunterhaltung,
unter anderem erhielten sie die "Goldene Rose" beim "Rose
d'Or"-.Festival" in Montreux, 1987 konnten
sie das "Bundesverdienstkreuz am Bande"1) entgegennehmen.
Für ihre Verdienste um die deutsch-italienische Verständigung erhielten sie
den "Premio Capo Circe". Anlässlich des 70. Geburtstages verlieh
der Ort Nerchau ihrem berühmten Paar 2006 die Ehrenbürgerschaft.
Geheiratet haben die unzertrennlichen Schwestern nie, zwanzig Jahre lang war Ellen Kessler mit
dem italienischen Schauspieler Umberto Orsini1) liiert, Alice Kessler lebte
sieben Jahre mit dem französischen Schlagersänger Marcel Armond
zusammen.
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Seit 1986 teilen sich die Kessler-Zwillinge ein Haus im Prominentenviertel
Geiselgasteig1) in
Grünwald1)
bei München. 2011 feierten sie gemeinsam ihren 75. Geburtstag, noch immer
sind beide aktiv und denken nicht daran, sich aufs Altenteil zu setzen. Ab
Mitte November 2006 traten sie in der Stuttgarter "Komödie im Marquardt"1)
in dem Stück "Sechs Tanzstunden in sechs Wochen" des amerikanischen
Autors Richard Alfieri auf, allerdings nicht gemeinsam, Woche für Woche
wechselten sie sich in der weiblichen Hauptrolle ab.
2009 tourten sie gemeinsam mit Bill
Ramsey, Max Greger1) und
Hugo Strasser1), die zusammen mit der SWR-Bigband
als "Swing Legenden" das Publikum begeisterten, durch Deutschland.
Im Herbst 2011 zog es
Alice und Ellen Kessler wieder einmal nach Rom, der zweiten Heimat der Künstlerinnen.
Am "Teatro Eliseo" eröffnete am 18. Oktober das Musical
"Dr. Jekyll und Mr. Hyde"1), in dem beide erneut auf der Bühne zu bewundern
waren, in einer Inszenierung von Giancarlo Sepe die Spielzeit 2011/2012.
Foto mit freundlicher Genehmigung von Harald Bischoff → Webseite
© Harald Bischoff († 07.04.2017); Lizenz: CC BY-SA 3.0
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Anlässlich des 75. Geburtstages der Bühnenlegenden
strahlte der SWR Mitte August 2011 noch einmal das bereits zum 70. Geburtstag gesendete
filmische Portrait "Alice & Ellen Von der Kunst, die Kessler-Zwillinge zu sein"
aus, in dem die Künstlerinnen der Filmemacherin Doris Metz auch Einblicke in
das Privatleben gewährten; mehr bei presseportal.de.
Zuletzt standen Deutschlands berühmteste Zwillinge im Frühjahr 2011
in Frankfurt/Main und Umgebung für die vom "Hessischen Rundfunk"
produzierte "Tatort"-Folge "Das
Dorf"1) vor der Kamera und traten in
diesem sehenswerten, für den "Grimme-Preis" nominierten Krimi an der Seite von
Ermittler bzw. LKA-Mann Felix Murot (Ulrich Tukur1))
in Erscheinung; Erstausstrahlungstermin
war der 4. Dezember 2011. "LKA-Mann Murot gerät in ein
Horror-Dorf und in höchste Lebensgefahr. Dieser "Tatort" ist
ein Lust-Objekt für Filmfans. Die latente Angst zaubert eine Spielwiese von
kafkaesker Bedrohlichkeit. Dr. Mabuse und Edgar Wallace grüßen schwarzweiß
aus der Gruft. Tukur glänzt in Film-Noir&- & Musical-Ambiente und
Claudia Michelsen1) als sadistische Dorfärztin kommt mit der Spritze. Dieser
"Tatort" ist aus Raum, Zeit und Krimi-Konvention gefallen. Ein
intellektueller Spaß, ein cineastisches Vergnügen, ein Kritiker-Film. Doch
hoffentlich nicht nur! Auf jeden Fall ein TV-Stück, das einem lange in
Erinnerung bleiben wird." notiert tittelbach.tv.
Und spiegel.de
schrieb: "Den Höhepunkt bildet allerdings die Tanzszene der Zwillinge Alice und Ellen Kessler: Die beiden
stellen Bemerings nervöse Mutter dar, die sich zu Murots Klavierspiel verdoppelt und
"Dimmi quando" singt das Lied, das den Kommissar schon in die blaue Grotte gelockt hat."
Im Jahre 1996 veröffentlichten die Kessler-Zwillinge ihre Autobiografie unter
dem Titel "Alice und Ellen Kessler: Eins und eins ist eins".
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