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Der österreichische Theater- und Filmschauspieler Viktor (auch
Victor) Kutschera wurde
am 2. Mai 1863 in Wien als Sohn eines Eisenbahningenieurs geboren, der unter
anderem gemeinsam mit Carl Ritter von Ghega1) die
Semmeringbahn1)
erbaute. Nach der Realschule besuchte er die Schauspielschule am Wiener Konservatorium der
"Gesellschaft der Musikfreunde", gab nach einem glänzenden
Abschluss am 1. August 1884 am "Hoftheater
Meiningen"1) (Thüringen) sein Bühnendebüt in dem
oberbayerischen Volksstück "Der Herrgottschnitzer von Ammergau"
von Ludwig Ganghofer. Fünf Jahre wirkte Kutschera in Meiningen, nach
anfänglichen kleineren Parts glänzte er dort bald sowohl im klassischen als
auch heiteren Fach und gab meist jugendliche Helden und Liebhaber. So
erlebte man ihn unter anderem als Hippolyt in Schillers "Die Braut von
Messina", als Fürst Thuiskomar in Kleists "Die Hermannsschlacht",
als Rosenkranz in Shakespeares "Hamlet" oder als Jaromir in
Grillparzers "Die Ahnfrau", aber auch in verschiedenen Lustspielen
beispielsweise als Baron von Zinnow
in "Hasemanns Töchter" von Adolph L’Arronge oder als Baron
Wedding in "Die Schulreiterin" von Emil Pohl. Rasch hatte sich
Kutschera zu einem vielbeachteten Charaktermimen entwickelt, der vor allem
in Schiller-Dramen zu überzeugen wusste, so als zerrissener Max Piccolomini
in "Wallenstein", als idealistischer Karl Moor in "Die Räuber"
oder als Arnold von Melchtal in "Wilhelm Tell". Seine
Schauspielkunst zeigte er auch außerhalb von Meiningen, mit dem Ensemble
bereiste er halb Europa: Ende des 19. Jahrhunderts folgte ein Siegeszug
der "Meininger" durch Europa. Die "Meininger Gastspiele"
wurden zur Legende. Das Ensemble reiste von 1874 bis 1890 ein logistisches Meisterstück mit
samt Bühnenbildern, Requisiten
und Kostümen per Bahn durch 39 Städte, von London bis Kiew mit 2591 Vorstellungen überwiegend
Werke von Shakespeare, Schiller und Goethe wurden aus der gefühlsentleerten
Inszenierungskonvention herausgeführt. notiert unter anderem theater-meiningen.de.
Foto: Viktor Kutschera
auf einer Fotografie von Viktor Angerer (1839 1894)
Quelle: Wikipedia
bzw. Wikimedia Commons;
Angaben zur Lizenz siehe hier |
1889 ging Kutschera nach Wien zurück, trat ein Engagement am gerade erst eröffneten
"Deutschen Volkstheater"1), dem heutigen
"Volkstheater", an und debütierte dort am 12. September als Prinz in
dem Drama "Maria Magdalena" von Paul Lindau. Das
"Deutsche Volkstheater" sollte für die nächsten Jahrzehnte
Kutscheras künstlerische Heimat bleiben, lediglich zwischen 1895 und 1898
gehörte er zum Ensemble des "Burgtheaters".
Nach seiner erfolgreichen Meininger Zeit avancierte der Schauspieler in Wien
als "temperamentvoller, strahlender Heldendarsteller"*) zum Publikumsmagneten,
deckte in insgesamt 541 Stücken fast die gesamte
Palette des klassischen wie modernen Rollenrepertoires ab. Wegen seiner lebensnahen, gefühlsechten und volksverbundenen
Interpretationskunst wurde er von Kritikern und Zuschauern gleichermaßen
hochgeschätzt, zu seinen Paraderollen zählten vor allem die
Schiller-Helden wie, bereits in Meiningen der Karl Moor in "Die Räuber",
der Mortimer in "Maria Stuart" und die Titelrolle in "Demetrius".
Aber auch als Marc Anton in Shakespeares "Julius Cäsar" oder als Heinrich von Navarra in
Albert Lindners "Die Bluthochzeit" wusste Kutschera zu
begeistern.
1895 holte Max Buckhard1) (1854 1912),
damaliger Direktor des "k.k. Hofburgtheaters" (heute "Burgtheater"1)),
den Vollblutmimen für drei Spielzeiten an die berühmte Bühne, wo
Kutschera beispielsweise als Schiller'scher "Don Karlos" und als
Romeo in Shakespeares "Romeo und Julia" brillierte.
Viktor Kutschera 1923
Foto mit freundlicher Genehmigung der Österreichischen Nationalbibliothek1)
(ÖNB)
Urheber: Atelier D'Ora-Benda (Madame d'Ora1)
(18811963); Datierung: 13.04.1923
© ÖNB/Wien, Bildarchiv (Inventarnummer
204430-D)
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Er gestaltete
auch am 9. Oktober 1895 den jungen Fritz Lobheimer in der Uraufführung von Schnitzlers
Frühwerk "Liebelei" sowie ein Jahr später bei der Premiere am 3. Oktober 1896
das Fritzchen in Sudermanns "Morituri", einem aus den drei
Einaktern "Teja", "Fritzchen" und "Das ewig Männliche"
bestehendem Schauspiel.
Da Kutschera am "Hofburgtheater" jedoch nicht die erhoffte
Resonanz fand, ging er 1898 an das "Deutsche Volkstheater"
zurück und stellte dort immer wieder seine schauspielerische Bandbreite
unter Beweis. Er spielte im klassischen und modernen Drama, im Volks- und Salonstück und im Lustspiel Naturburschen, Liebhaber,
Helden und später "Väterrollen", ernste und komische
Chargen. Immer Realist, schuf Kutschera ohne jede Übertreibung, scharf charakterisierend,
geradlinige und liebenswürdige Gestalten. Komplizierte Naturen gelangen ihm
weniger.*)
Darüber hinaus trat Kutschera am "Deutschen Volkstheater" auch
als Regisseur in Erscheinung und inszenierte einige Stücke.
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Viktor Kutschera gehörte auch zu den Pionieren des österreichischen Films.
Bereits 1912 wirkte er in der ersten "Wiener Kunstfilm"-Großproduktion
"Der Unbekannte" mit, basierend auf einem Kriminal-Drama von Oskar Bendiener.
Regie führte Luise Kolm1), (später Ehefrau
des Regisseurs und
Produzenten Jakob Fleck1)),
neben anderen Wiener Theaterstars wie
Eugénie Bernay1),
Karl Ehmann1) oder
Karl Blasel1)
mimte Kutschera einen Bankier. Nach einer längeren Pause zeigte er sich
erst wieder 1918 in Conrad Wienes kurzem Streifen "Der letzte Erbe von Lassa"
auf der noch stummen Leinwand und schlüpfte diesmal in die Rolle eines
Grafen; auch Tochter Tilla spielte in diesem Melodram mit. Zwischen 1920 und 1922 folgten regelmäßig eine
Reihe weiterer melodramatischer Produktionen, mit denen er
jedoch nicht den Ruhm seiner Theatererfolge erringen konnte. Meist stellte
er Herren der Gesellschaft dar in Streifen, die allein schon vom Titel
her die Zuschauer anlocken sollten. So etwa Cornelius Hintners abenteuerliches Drama
"Die Würghand"2) (1920) hier
spielte er an der Seite der als Schönheit geltenden und heute
vergessenen österreichischen Stummfilm-Diva Carmen Cartellieri3),
mit der auch das Sci-Fiction-Abenteuer "Parema Das Wesen aus der Sternenwelt" (1922) drehte , Hanns Marschalls "Das Spielzeug des Satans" (1922)
oder Friedrich Fehérs "Die Memoiren eines Mönchs " (1922).
Danach trat er nur noch sporadisch
vor die Kamera, etwa als Chef
eines russischen Spionagedienstes in Max Neufelds "Die Brandstifter Europas. Oberst Redls Erben" (1926)
mit Neufeld selbst als Rasputin und Robert Valberg als Oberst Redl.
Viktor Kutschera 1923
Foto mit freundlicher Genehmigung der Österreichischen Nationalbibliothek1)
(ÖNB)
Urheber: Atelier D'Ora-Benda (Madame d'Ora1)
(18811963); Datierung: 13.04.1923
© ÖNB/Wien, Bildarchiv (Inventarnummer
204432-D)
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Nach Karl Leiters Drama "Seine Hoheit, der Eintänzer"4) (1927)
sowie der Rolle des fürstlichen Erzbischofs Roncourt an der Seite des
Protagonisten Igo Sym in Max Neufelds mit
Zwischentiteln aufwartenden Stummfilm-Operette "Erzherzog Johann"4) (1929; Verleihtitel Deutschland: "Herzog Hansl"),
mit der der Regisseur dem "volksverbundenen" Erzherzog Johann
von Österreich1) (1782 1859) ein Denkmal
setzte, beendete Kutschera vorerst
seine Ausflüge auf die Leinwand. Lediglich in dem futuristischen Tonfilm
"Die vom 17er Haus"4) (1932),
von Artur Berger gedreht im Auftrag der Sozialdemokratischen
Arbeiterpartei (SDAP) für die Wiener Landtagswahlen am 24. April 1932,
übernahm er noch einmal einen kleineren Part.
Nur ein knappes Jahr später starb Viktor Kutschera am 20. Januar 1933 im
Alter von 69 Jahren in Wien. Seine letzte Ruhestätte fand der gefeierte
Mime auf dem dortigen Zentralfriedhof (Gruppe 30 D, Reihe 1, Nummer 25) in einem
ihm ehrenhalber gewidmeten Grab; bereits am 13. April 1923 hatte man ihn zum
Ehrenbürger der Stadt Wien ernannt. Seit 1960 erinnert der "Viktor-Kutschera-Platz"
in Wien-Penzing (14. Bezirk) an den Schauspieler, versehen mit der
Kurzbeschreibung "gefeierter Schauspieler am Volkstheater".
Kutschera gehörte zu den Gründern des "Österreichischen Bühnenvereins",
der später im "Filmbund"1)
aufging.
Er war seit 1890 mit seiner Kollegin Elsa Sedlmayr1) verheiratet, die ihrem
Mann zuliebe ihre eigene Karriere aufgab. Aus der Verbindung stammten zwei
Kinder. Die am 29. November 1890 geborene Tochter Mathilde "Tilly" Kutschera1)
wurde ebenfalls Schauspielerin, wirkte am "Hofburgtheater" und
spielte auch in zwei Stummfilmen. Sie schied am 22. Juni 1920 aus heute
unbekannten Gründen erst 29-jährig durch Freitod aus dem Leben; ihr Grab
befindet sich ebenfalls auf dem Wiener Zentralfriedhof (Tor 4, Gruppe 4, Nr. 1314).
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