Die Schauspielerin Hanne Hiob wurde am 12. März 1923 als Hanne Marianne Brecht in München in eine Künstlerfamilie hineingeboren. Ihr Vater war der international bekannte deutsche Dramatiker und Lyriker Bertolt Brecht1) (1898 – 1956), ihre Mutter die aus Österreich stammende Schauspielerin und Opernsängerin Marianne Zoff1) (1893 – 1984). Die Heirat war am 3. November 1922 erfolgt, die Ehe jedoch bereits nach rund zwei Jahren gescheitert. Nach der Trennung der Eltern bzw. der offiziellen Scheidung am 22. November 1927 blieb die kleine Hanne bei der Mutter in Wien, die schon ein Jahr später den Schauspieler Theo Lingen2) (1903 – 1978) ehelichte, der Hanne nach Brechts Flucht ins Ausland 1933 adoptierte. 1929 wurde Hannes Halbschwester Ursula Lingen2) († 2014) geboren, die in die Fußstapfen ihres Vaters trat und ebenfalls den Schauspielerberuf ergriff.
Aufgewachsen während des Krieges in Wien, erhielt Hanne Lingen nach dem Besuch eines Lyzeums dort privaten Tanz- und Schauspielunterricht, wurde 1941 als Ballettelevin an der "Wiener Staatsoper" angenommen. Zwischen 1942 und 1944 war sie als Tänzerin und Schauspielerin am "Landestheater Salzburg" engagiert, es folgte eine Verpflichtung am "Wiener Volkstheater" (1945–1947), wo sie unter anderem als Leontine in dem sozialkritischen Drama "Der Biberpelz"1) von Gerhart Hauptmann in Erscheinung trat. Seit Juli 1948 in kurzer Ehe mit dem (West)Berliner Arzt Dr. Joachim Hiob verheiratet, trat sie fortan unter ihrem Ehenamen Hanne Hiob auf, musste jedoch nach einem Engagement am "Stadttheater Straubing" krankheitsbedingt mehrere Jahre pausieren.
Von 1953 bis 1959 erlebte man sie in Berlin unter der Intendanz von Oscar Fritz Schuh1) am "Theater am Kurfürstendamm"1), unter anderem als Prinzessin in dem Drama "Die chinesische Mauer"1)  (1955) von Max Frisch, als Frau Brigitte in Kleists "Der zerbrochene Krug"1) (1955), als Lisa in dem autobiografischen, unvollendet gebliebenen Schauspiel "Und das Licht scheint in der Finsternis" (1957) von Leo Tolstoi1), als Prinzessin Lena in der Komödie "Leonce und Lena"1) (1957) von Georg Büchner und als Gerda in dem Kammerspiel "Der Scheiterhaufen" (1958) von August Strindberg1). Zudem gehörte sie im Januar 1956 am "Zürcher Schauspielhaus" an der Seite ihrer Freundin Therese Giehse2), deren Nachlass sie später verwaltete, in der Uraufführung (26.01.1956) zur Besetzung von Friedrich Dürrenmatts Tragikomödie "Der Besuch der alten Dame"1), von Oskar Wälterlin1) inszeniert mit Giehse in der Titelrolle der Claire Zachanassian und Gustav Knuth1) als Alfred Ill. Auch in der von Kurt Horwitz1) am "Schauspielhaus Zürich" in Szene gesetzten Uraufführung (21.02.1962) von Dürrenmatts "Die Physiker"1) mit dem Untertitel "eine Komödie in zwei Akten" bereicherte sie das Ensemble – Therese Giehse spielte die bucklige Irrenärztin Fräulein Dr. Mathilde von Zahnd, Hans Christian Blech2) (Möbius), Gustav Knuth (Newton) und Stiefvater Theo Lingen (Einstein) die drei Physiker, Hanne Hiob die Krankenschwester Monika Stettler; eine Aufzeichnung der als "Theatererfolg der Saison" bezeichneten Aufführung wurde im Fernsehen ausgestrahlt.
  
Auch wenn Hanne Hiob vereinzelt in Shakespeare-Klassikern wie "Hamlet"1) (1955/56 als Ophelia, "Theater am Kurfürstendamm") oder "Troilus und Cressida"1) (als Kassandra) zu überzeugen wusste, blieb ihre Domäne das Theater der Moderne, bei denen Werke ihres Vater Bertolt Brecht eine wichtige Bedeutung hatten. An den "Städtischen Bühnen" in Frankfurt am Main gab sie bei Intendant Harry Buckwitz1), der vor allem durch seine Brecht-Inszenierungen weltweit bekannt wurde, seit der Premiere am 20. Mai 1958 in "Mutter Courage und ihre Kinder"1) die stumme Kattrin, einmal mehr neben Therese Giehse in der Hauptrolle. Am "Deutschen Schauspielhaus" in Hamburg gestaltete sie 1959 die Titelrolle in der späten Uraufführung (30.04.1959) von Brechts "Die heilige Johanna der Schlachthöfe"1) – kein Geringerer als der legendäre Gustaf Gründgens2) hatte das epische Theaterstück inszeniert. In dieser Rolle der Johanna Dark konnte man die "Grenzgängerin" Hanne Hiob auch 1968 am Ostberliner "Berliner Ensemble" sowie 1971 bei den "Ruhrfestspielen Recklinghausen" bewundern. Weitere Brecht-Stücke bzw. Rollen, in denen Hanne Hiob brillierte, waren die Magd Grusche Vachnadze in "Der kaukasische Kreidekreis"1) (1964, "Schauspielhaus Zürich") und die Protagonistin Teresa Carrar in "Die Gewehre der Frau Carrar"1) (1975, "Münchner Kammerspiele"), eine Rolle, mit der sie im gleichen Jahr in Egon Monks Fernsehverfilmung zu sehen war.
 
1976 zog sich die überzeugte Kommunistin Hanne Hiob von der Theaterbühne zurück und engagierte sich seither aktiv bei Brecht-Lesungen und pazifistisch-antifaschistischen Veranstaltungen bzw. Straßentheaterprojekten. Aufsehen erregte sie mit dem spektakulären Protestzug "Der Anachronistische Zug oder Freiheit und Democracy"1), basierend auf dem 1947 entstandenen gleichnamigen Gedicht von Bertolt Brecht über das Wiederaufkeimen des Faschismus: Veranstaltet 1979 gegen Karl Carstens1) als Bundespräsident, 1980 neu aufgelegt zur Bundestagswahl aus Anlass der Kanzlerkandidatur von Franz-Josef Strauß1), 1990 gegen die "Einverleibung der DDR", 1994 zur Bundestagswahl unter dem Motto "Berlin für Brecht statt Kohl" sowie zuletzt die Berliner Demo anlässlich des Jahrtausend-Silvesters 2000/2001. Sie beteiligte sich maßgeblich an diversen politischen Theaterprojekten, darunter an der von juristischen Problemen begleiteten westdeutschen Erstaufführung des stark marxistisch ausgelegten Chorwerks "Herrnburger Bericht" (Text: Bertolt Brecht; Musik: Paul Dessau1) → www.zeit.de) am 11. Mai 1983 in Essen. Peter von Becker1) schrieb damals in der Monatszeitschrift "Theater heute"1) (Heft 4, 1983): "Hanne Hiob ist unverkennbar eine von Brechts Frauen. So tritt sie wohl meistens auf: Schwarzer Pullover und Hose, die vollen, dunklen, kaum grauen Haare in der Mitte gescheitelt, am Hinterkopf zusammengesteckt, bißchen puritanisch, klein, schlank (…). Schön, wenn sie klar, mit einer weichen, doch ganz unsentimentalischen Stimme die "Ballade von der Judenhure Marie Sanders" vorträgt. Singt oder spricht sie Brechttexte (…), dann schwingt in ihrem satiresauren, koboldtrotzigen Lachen doch auch etwas Kompliziertes, Angestrengtes."*) Mit den Programmen "… nun lebt wohl und werdet Kämpfer" (letzte Briefe von Häftlingen in Konzentrationslagern) tourte sie ab 1985 durch ganz Deutschland und Österreich und wandte sich auch an Schulen besonders an die Jugend. Ab 1989 trat sie mit dem Programm "Am Fleischerhaken hängt er, ach" auf, basierend auf Berichten von Deserteuren der Wehrmacht über ihre Erlebnisse. Weitere Gastspiele waren beispielsweise die politisch-literarischen Programme "Die Beute bleibt Deutsch" (1990) mit dem Untertitel "Eine Arisierungsrevue", "Haifische und andere Menschen Oder die Einverleibung der DDR" (1992/93) und "Die unwürdigen Opfer" (1995/96, "Veranstaltung zu Opfern der Adenauerpolitik"). Ihre Brecht-Abende, die sie seit Anfang der 1970er Jahre veranstaltete, trugen die Titel "Lehnen Sie sich zurück", "Der Schoß ist fruchtbar noch", "Brecht gegen Wallmann" oder "Arbeiteraufstand in Wien". In einem Interview äußerte sie sich dazu: "… ich habe den Zufall, die Tochter Bert Brechts zu sein, mir zu Nutze gemacht, mit seinen Worten meine eigene Botschaft mitzuteilen …"3)
 
Für Film und Fernsehen war Hanne Hiob ebenfalls viele Jahre aktiv, erste Erfahrungen vor der Kamera hatte sie schon als junge Frau unter der Regie ihres Stiefvaters Theo Lingen in den Kinostreifen "Frau Luna"1)  (1941) und "Es fing so harmlos an"4) (1944) sammeln können. Später wirkte sie unter anderem in Peter Patzaks Drama "Strawanzer"4) (1983) mit. Im Fernsehen trat sie beispielsweise als Zsófi in "Haben"5) (1964) nach dem gleichnamigen Drama von Julius Háy1) in Erscheinung, mimte die bucklige, verkrüppelte Tochter des Pfandleihers (Carl Wery) in "Nebeneinander"5) (1964), von Harald Benesch gedreht nach dem expressionistischen Schauspiel von Georg Kaiser1). Im DDR-Fernsehen präsentierte sie sich in drei Brecht-Produktionen, in dem Zweiteiler "Furcht und Elend des Dritten Reiches"6) (1981) nach dem gleichnamigen Theaterstück1) von Bertolt Brecht, mit der Titelrolle in "Die unwürdige Greisin"6) (1985, nach der gleichnamigen Novelle1)) und als Frau Zunto, Frau des Schneiders, in "Der Mantel des Ketzers"6) (1989, nach der gleichnamigen Novelle1)). Die bedeutende österreichische Kernphysikerin Lise Meitner1) verkörperte sie in Frank Beyers Zweiteiler "Ende der Unschuld"1) (1991).
Darüber hinaus wirkte Hanne Hiob in verschiedenen Dokumentationen über ihren Vater mit, zu nennen sind Ottokar Runzes Spielfilm-Collage "Hundert Jahre Brecht"4) (1998), Jutta Brückners1) offizieller Film des "Goethe-Instituts" zum 100. Geburtstag von Bertolt Brecht mit dem Titel "Bertolt Brecht – Liebe, Revolution und andere gefährliche Sachen"4) (1998) und Joachim A. Langs1) Dokumentation "Brecht – Die Kunst zu leben"4) (2006). Bei der filmischen Dokumentation von Brechts "Flüchtlingsgespräche" (2003) führte Hiob selbst Regie.
 
Hanne Hiobs gesellschaftspolitisches Wirken wurde mehrfach geehrt, 2003 konnte sie die Medaille "München leuchtet"1) der Bayerischen Landeshauptstadt München entgegen nehmen, gemeinsam mit dem US-amerikanischen, katholischen Theologen und Friedensaktivisten Roy Bourgeois1) erhielt die damals 82-Jährige als erste Kulturschaffende am 1. September 2005 den "Aachener Friedenspreis"1). "Wir würdigen mit dem "Aachener Friedenspreis" an Frau Hanne Hiob das Lebenswerk eines Menschen, der sich seit mehr als 30 Jahren unerschrocken und mit all seiner Kraft gegen Faschismus, Rassismus und Krieg eingesetzt hat. Die Losung: "Nie wieder Faschismus – nie wieder Krieg!" ist stets ihr Leitmotiv geblieben. Diese Verleihung setzt zugleich ein Zeichen gegen alle neonazistischen Versuche, den Faschismus wieder salonfähig zu machen. Sie ist ein Signal gegen Rechtsradikalismus und die wachsende Militarisierung in unserem Land." hieß es in der Begründung. In ihrer Dankesrede stellte die leidenschaftliche Mimin, die auf allen großen europäischen Bühnen aufgetreten war, ein wenig traurig fest, dass sie für ihre künstlerischen Leistungen am Theater nie ausgezeichnet worden sei. "Nun war ich sehr verwundert, dass es doch jemanden gibt, der wenigstens mein politisches Wirken auszeichnen will." ließ sie ihr Publikum wissen. Zugleich charakterisierte sie sich selbst mit dem Brecht'schen Vierzeiler: "Den Haien entrann ich / Die Tiger erlegte ich / Aufgefressen wurde ich / Von den Wanzen." → www.aachener-friedenspreis.de sowie die Dankesrede bei www.friedenskooperative.de
  
Danach waren Hanne Hiob nur noch wenige Jahre vergönnt, am 23. Juni 2009 starb die Schauspielerin und engagierte Antifaschistin im Alter von 86 Jahren in ihrer Geburtsstadt München – rund drei Monate nach ihrem Halbbruder Stefan Brecht1) (03.11.1924 – 13.04.2009).
Die Urne Hanne Hiobs wurde am 21. Juli 2009 am Fußende des gemeinsamen Grabes ihres Vaters mit Helene Weigel2) auf dem "Dorotheenstädtischen Friedhof" in Berlin-Mitte bestattet → Foto der Grabstelle bei knerger.de. Zu den rund 100 Trauergästen der Urnenbeisetzung gehörten auch Familienangehörige wie Hanne Hiobs Halbschwester, die Theaterschauspielerin und Kostümbildnerin Barbara Brecht-Schall1) (1930 – 2015) aus Brechts Ehe mit Helene Weigel, sowie Brecht-Enkelin Johanna Schall1) und deren Schwester Jenny Dizdari. Esther Bejarano1), Mitbegründerin und Vorsitzende des Hamburger "Internationalen Auschwitz Komitees"1), sagte in ihrer Trauerrede unter anderem "Jetzt, wo du neben deinem Vater Bertolt Brecht deine Ruhe gefunden hast, ist es auch für uns beruhigend, dass dein Lebenswerk dich mit ihm vereint."
In einem Nachruf schrieb der Autor und Kulturredakteur Matthias Gretzschel im "Hamburger Abendblatt" (25.06.2009): "Getrieben wurde die Schauspielerin, die einige Jahre mit einem Berliner Arzt namens Hiob verheiratet war, von ihrer pazifistischen Grundhaltung und der Angst vor dem Wiederaufkommen des Faschismus. In ihrer politischen Urteilsfähigkeit erfuhr Hanne Hiob neben Zustimmung auch heftigen Widerspruch, mit ihrem persönlichen Engagement nötigte sie jedoch sogar politischen Gegnern Respekt ab."
Die älteste Brecht-Tochter Hanne Hiob avancierte im Laufe ihres Lebens zu einer der bekannten Interpretinnen der Werke ihres Vaters, den sie auch politisch beerbte. Die Schauspielerin mit dem "herb-hübschen, ein wenig strengen Gesicht"7) schrieb mit ihren Darbietungen Theatergeschichte und errang auch internationale Anerkennung.
Quelle (unter anderem*) **)): Wikipedia, tls.theaterwissenschaft.ch***)
Siehe auch die Nachrufe bei www.welt.de, www.berliner-zeitung.de, www.tagesspiegel.de
*) Henschel Theaterlexikon (Henschel Verlag, 2010, S. 360/361)
**) Langen Müller's Schauspielerlexikon der Gegenwart (München 1986, S. 403)
***) Blubacher, Thomas: Hanne Hiob, in: Kotte, Andreas (Hg.): Theaterlexikon der Schweiz (Chronos Verlag Zürich 2005, Band 2, S. 845–846)
3) Quelle: www.aachener-friedenspreis.de
Link: 1) Wikipedia, 2) Kurzportrait innerhalb dieser HP, 4) filmportal.de, 5) Die Krimihomepage, 6) .fernsehenderddr.de
7) Quelle: Thomas Rothschild: "Die unbeirrbare Tochter" bei www.freitag.de
Filme
Filmografie bei der Internet Movie Database, filmportal.de

(Link: Wikipedia, Kurzportrait/Beschreibung innerhalb dieser HP, filmportal.de, 
wien.gv.at, Die Krimihomepage, fernsehserien.de, fernsehenderddr.de)
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