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Der Stummfilmstar Fern Andra wurde am 24. November 1894 (nach
anderen Quellen 1893 bzw. 1895) als Vernal Edna Andrews in Watzeka (Illinois)
geboren; ihre Mutter Sadie soll eine bekannte Opernsängerin gewesen
sein, ihr Stiefvater, Frank St. Clair, war Drahtseilartist
beim Zirkus und auf Vaudeville-Bühnen. So war es nicht weiter
verwunderlich, dass auch Fern Andra schon als kleines Mädchen versuchte, es
ihm gleich zu tun, bereits mit vier Jahren zeigte auch sie ihre Künste auf
dem Seil, ein Jahr später trat sie am Theater in dem Stück "Uncle Tom's
Cabin" (Onkel Toms Hütte) auf. Als Schulmädchen wirkte sie
gemeinsam mit ihrem Bruder Fred als Sängerin und Tänzerin bei
Aufführungen im örtlichen "Braden Brothers' Opera House" mit, knapp
16-Jährig verließ sie ihr Elternhaus, um als Artistin mit den
"Millman-Sisters" durch die USA, Kanada und Europa zu touren.
Etwa 1912 verließ sie die Truppe und blieb zunächst in London, wo sie
unter anderem in der von ihr produzierten "Ragtime Revue"
in Erscheinung trat. Dann kam sie über Wien nach Berlin und mit dem französischen
Filmpionier und Produzenten Léon Gaumont1) (1864 1946) bzw.
dessen gleichnamigen Filmfirma1) in Kontakt. Dieser bot ihr einen Vertrag an,
Fern Andra griff zu, nahm Schauspielunterricht bei Max Reinhardt1)
(1873 1943) und
drehte 1913 (als Fern Andrée) ihre erste Stummfilme "Ave Maria"
(Regie: Charles Decroix). Ein Jahr später folgten "Auf Patrouille im Osten"1),
"Vermisst gemeldet", "Der Stern"1) und "Mondfischerin" die beiden letztgenannten erneut
unter der Regie von Charles Decroix.
Foto: Fern Andra (ca. 1919 1924)
Urheber bzw. Nutzungsrechtinhaber: Alexander
Binder1) (1888 1929)
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Der Erfolg war groß, Fern Andra über Nacht zum Leinwandstar
avanciert,
doch mit Beginn des 1. Weltkrieges schloss die "Gaumont"-Filmgesellschaft die
Berliner Niederlassung. Der "neue Stern am Stummfilmhimmel" ließ
sich davon nicht beirren, kurz entschlossen gründete Fern Andra ihre eigene
Produktionsgesellschaft "Andra-Film", 1916 kam das "Fern-Andra-Filmatelier"
hinzu, wo sie in vielen Filmen als Regisseurin, Drehbuchautorin und
natürlich Hauptdarstellerin in Personalunion fungierte. Einer dieser ersten
Filme war "Eine Motte flog zum Licht"1) (1915),
weitere Produktionen in Eigenregie (oft unter Mitwirkung des Autors Kurt Matull1)) wurden unter anderem "Gesprengte Ketten"1) (1915),
"Ernst ist das Leben"1) (1916), "Wenn Menschen reif zur Liebe werden"1) (1916)
oder "Die Rache des Titanen" (1919).
Doch vor allem als Titelheldin ihrer filmischen Rührstücke, in denen sie
die verschiedensten Charaktere vom armen Fischermädchen bis hin zur Millionärstochter,
von der Sklavin bis hin zur Königin verkörperte, wurde sie zum absoluten
Star jener frühen Filmära und von vielen als Deutschlands "Mary Pickford"
gefeiert. Bis Ende der 1910er Jahre entstanden Streifen wie "Die Seele einer
Frau" (1916), "Ein Blatt im Sturm
doch das Schicksal hat es
verweht" (1917), "Frühlingsstürme im Herbste des Lebens"1) (1918),
"Auf des Lebens rauher Bahn"1) (1918)
oder "Drohende Wolken am Firmament"1) (1918),
die schon aufgrund des Titels melodramatisches ahnen ließen und das
Publikum in die Lichtspielhäuser lockte; zwischen 1916 und 1918 war Alfred Abel3) (1879 1937) ihr bevorzugter Leinwandpartner.
Foto: Fern Andra vor 1929
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In verschiedenen Produktionen stellte Fern Andra ihr artistisches Können
auch auf der Leinwand unter Beweis, die Filme spielten wie "Um
Krone und Peitsche"1) (1919),
"Des Lebens und der Liebe Wellen" (1921) oder "Funkzauber" (1927)
im Zirkusmilieu, der Star glänzte als Trapezkünstlerin, Seiltänzerin
oder Dompteurin.
Robert Wiene realisierte mit ihr in der Titelrolle das Drama "Die
Nacht der Königin Isabeau"4) (1920), Aufsehen erregte sie
in einem anderen Wiene-Film, als Protagonistin bzw. Vamp in der wilden, kolportageartigen Geschichte "Genuine Die Tragödie eines seltsamen Hauses"1) (1920),
die durch das expressionistische Dekor sowie einer im Bereich der Exotik und Phantastik angesiedelten Inszenierung
aus dem üblichen Rahmen fiel und nicht zuletzt durch die von dem
Künstler César Klein1)
(1876 1954) direkt auf
Fern Andras Körper aufgemalten Kostüme für eine Sensation sorgten: Auf
einem Sklavenmarkt kauft ein sonderlicher, voyeuristischer Lord die schöne
Genuine. Sie hat eine merkwürdige Veranlagung: sie muss Blut trinken und
fordert es von ihren Liebhabern, die sie auf deren Höhepunkt der
Verliebtheit zum Selbstmord drängt. Erst als sich Genuine verliebt, ist der
Bann gebrochen. Doch jetzt dringen aufgebrachte Bürger in das Schloss ein,
um den dort wahnsinnig gewordenen Friseur zu suchen. Der Mob erschlägt
Genuine und ihren Diener. (Zitat: www.filmarchiv.at)
Foto: Fern Andra vor 1929
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Die Meinungen zu Fern Andras Darstellung waren ambivalent, von
den einen hochgejubelt wurde sie von vielen jedoch auch verrissen: Der weibliche Vampyr
dieser Zauberwelt ist Fern Andra. Bei allem guten Willen, sich vom
Klischee freizumachen, gelingt es ihr nicht, den dämonischen Gehalt
der Rolle zu versinnlichen. Dagegen überraschen H. H. v. Twardowsky als ekstatischer
Jüngling und Ernst Gronau als der irrsinnige Besitzer des Spukhauses
durch seinen Instinkt für stilsichere Wirkung. Immerhin ist das Werk als neuer Versuch,
den Film aus der Sphäre des Alltäglichen zu retten, beachtenswert.5)
Allein in Deutschland entstanden über 40 Filme von und mit Fern Andra, die
sich geschickt selbst inszenierte und vermarktete. Zu einer ihrer letzten
Rollen in einer deutschen Produktion zählt die der legendären Tänzerin
Cléo de Mérode3)
(1875 1966) in der dritten Episode von Rolf Randolfs "Frauen der Leidenschaft" (1926).
Danach drehte sie noch einige Stummfilme in Großbritannien, unter anderem
"The Warning" (1928) und "The Burgomaster of Stilemonde" (1929).
Der in den USA gedrehte und von Henry King in Szene gesetzte Streifen "The Eyes of the World" (1930)
war Fern Andras erste Tonfilmproduktion, danach folgte der amerikanische
Tonfilm "Lotus Lady" (1930) Fern Andras letzter Kinoauftritt.
In den folgenden Jahren arbeitete sie für den Rundfunk und das beginnende Fernsehen,
spielte noch vereinzelt Theater, konnte jedoch an ihre früheren Erfolge
nicht mehr anknüpfen; außerdem war sie als Managerin und Kostümberaterin
für Hollywood tätig.
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Nicht nur durch ihre Filme, auch mit ihrem Privatleben war Fern Andra immer
wieder in die Schlagzeilen geraten: Während des 1. Weltkrieges wurde sie
nach dem Kriegseintritt der USA als "feindliche Ausländerin"
betrachtet und zeitweise als Spionin verdächtigt. Diesen Vorwürfen
versuchte sie durch ihre Heirat mit dem preußischen Baron Friedrich von und zu Weichs zu entgehen,
der noch während des Krieges als Soldat an der Front
fiel. Eine andere spektakuläre Geschichte war 1922 die Meldung, sie sei zusammen mit
Lothar von Richthofen1)
(1894 1922),
dem jüngeren Bruder des berühmten Jagdfliegers Manfred von Richthofen1)
(1892 1918; "Der rote Baron") beim Absturz eines Linienflugzeugs, das er von Berlin nach Hamburg steuerte,
ums Leben gekommen; tatsächlich fanden Lothar von Richthofen und Andras
Begleiter, der Regisseur Georg Bluen, bei
diesem Unglück den Tod, Fern Andra überlebte schwer verletzt.
1924) heiratete sie den deutschen Mittelgewichtsmeister im Boxen
Kurt Prenzel (1896 1960), auch das sorgte für erheblichen Medienrummel. Bereits zu
dieser Zeit hatte der filmische Erfolg von Fern Andra nachgelassen, 1928 verließ "Baronin Fern Andra von Weichs",
wie sie sich seit
ihrer ersten Vermählung gerne nannte, Deutschland und zog zunächst nach
England, zwei Jahre später in die USA. Ihre Ehe mit Kurt Prenzel war nach
kurzer Zeit geschieden worden, ebenso wie ihre Verbindung mit dem Hollywoodidol
und Theaterschauspieler Ian Keith1)
(1899 1960), den sie 1932 geehelicht hatte, um sich
zwei Jahre später wieder scheiden zu lassen.
1938 heiratete Andra Fern erneut zum vierten Mal, diesmal den im Ruhestand lebenden
ehemaligen US-Brigadegeneral Samuel Edge Dockrell.
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Anfang der 1950er Jahre kehrte Fern Andra mit ihrem Mann nach Deutschland
zurück und übernahm noch einmal eine Rolle in dem Theaterstück "Tragödie einer
Diva".
Bis 1973 lebte das Paar in Wiesbaden, kehrte dann in die USA zurück,
wo Dockrell nur wenige Zeit später am 19. September 1973 in Aiken (South Carolina) verstarb. Die ehemalige
Stummfilmdiva, die neben Henny Porten3)
(1890 1960) und Asta Nielsen3)
(1881 1972) zu den ganz großen
Stars jener Filmära bzw. zu den Filmpionieren zählt, überlebte ihren
letzten Ehemann nur wenige Monate: Am 8. Februar 1974 schloss auch Fern Andra im Alter von 79 Jahren
(wenn man als Geburtsdatum 1894 zugrunde legt)
in einem Pflegeheim in Aiken für immer ihre Augen.
Viele von Fern Andras Filmen gelten als verschollen, nur wenige haben,
oft in restaurierter Fassung, die Jahrzehnte überdauert. Das
schriftstellerisches "Testament" der Regisseurin,
Sensations- und Selbst-Darstellerin Fern Andra ist erhalten
geblieben: 1919 veröffentlichte sie "Der Weg, der ins
Glashaus führte. Roman eines Frauenlebens", ein Jahr später
erschien das Kinoalbum "Was ich über mich zu sagen weiß".
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Der Schriftsteller Walter Hasenclever1)
(1890 – 1940) schrieb 1919 unter anderem in dem
monatlich erscheinenden Magazin "Die neue Schaubühne" (Hugo
Zehder, Rudolf Kaemmerer Verlag, Dresden): … Die Künstlerin
hatte die Freundlichkeit, mir ein Interview zu gewähren. Sie empfing
mich in ihrem Salon; an der Wand hingen Bilder von Kaiser Wilhelm und
Kaiser-Titz, der Plafond war täuschend in einen Sternenhimmel
verwandelt, wobei kunstgerecht aus jedem Stern eine elektrische Lampe
strahlte. "Ich habe", sagte Fern Andra lächelnd,
"meinen Salon in einen Himmel verwandelt, damit ich mir jederzeit
die Illusion des Firmamentes verschaffen kann. Die Tendenz meiner
Filme ist der Jetztzeit angepaßt. Ich folge den Spuren Kants: der
gestirnte Himmel über mir und das Sittengesetz in mir!" Sie
drückte auf einen Knopf. Eine Sternschnuppe in Gestalt einer
Konkurrentin fiel vom Plafond. "Meine Jugend war hart", fuhr
sie fort, während zwei weiße Katzen, ein Geschenk der
Nationalversammlung, zu ihren Füßen schnurrten. "Obwohl
Künstlerblut in meinen Adern rollt, sollte ich Tippmamsell werden. Es
kam anders. Ich wurde berühmt. Es wird Sie interessieren, daß ich
alle meine Filme selbst schreibe. Ich spiele nicht nur, ich führe Regie. Manchmal
kurbele ich. Ich bin ein Wunderkind! Ich kann reiten, tanzen, schwimmen, autofahren, rudern, fliegen,
lesen und schreiben. Amerika hat mich geboren, der Ozean gesäugt, Deutschland ist meine Heimat geworden.
Mein Bild hängt in allen Schulen. Fünf Schreibmaschinen arbeiten ununterbrochen. Ich diktiere meine
Lebensgeschichte". Die Künstlerin schwieg. Die Planeten im Plafond drehten sich, die elektrischen Lampen strahlten.
"Das Geheimnis des Erfolges", lächelte sie, "ist der Glaube an die Dummheit.
Ich bin nicht nur klug; ich bin schön! Ich habe ein Preisausschreiben für Schönheit
erlassen. Ich werde mich selbst prämiieren. Das ist mein größter
Trumpf". (
) "Ich will meine Biographie verfilmen. Ich will mich selber
spielen", hauchte sie
(Quelle: www.filmhistoriker.de)
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Quelle: filmstarpostcards.blogspot.de
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Filme
(R = Regie, D = Drehbuch, P = Produktion)
Filmografie bei der Internet Movie Database (Link:
Wikipedia (deutsch, englisch), Murnau Stiftung, filmportal.de)
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Stummfilme
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1913: Das Ave Maria
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1914: Mondfischerin
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1914: Crushed
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1914: Der Stern
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1914: Auf Patrouille im Osten
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1915: Vermisst gemeldet
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1915: Es fiel ein Reif in der Frühlingsnacht
(auch R, D)
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1915: Gesprengte Ketten
(auch R, D, P)
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1915: Pariser Mode von heute
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1915: Eine Motte flog zum Licht
(auch R, D, P)
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1915: Zwei Freunde
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1916: Sein letzter Richterspruch (Kurzfilm, auch D, P)
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1916: Die Seele einer Frau (auch D)
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1916: Homunculus, 1. Teil (unbestätigt)
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1916: Ernst ist das Leben
(auch R, D, P)
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1916: Der Gürtel der Dollarfürstin
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1916: Wenn Menschen reif zur Liebe werden
(auch R, D, P)
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1917: Ein Blatt im Sturm
doch das Schicksal hat es verweht
(auch D)
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1917: Der Seele Saiten schwingen
(auch D)
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1917: Des Lebens ungemischte Freude
(auch D)
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1918: Die nach Glück und Liebe suchen (auch D)
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1918: Frühlingsstürme im Herbste des Lebens
(auch R, D)
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1918: Drohende Wolken am Firmament
(auch D)
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1918: Auf des Lebens rauher Bahn
(auch D)
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1919: Das Spiel magischer Kräfte (auch D, P)
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1919: Um
Krone und Peitsche / Der Todessprung (auch R, D)
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Noch: Stummfilme
Tonfilme
-
1930: The Eyes of the World
-
1930: Lotus Lady
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