Der Schauspieler, Sänger und Rezitator Ludwig Wüllner wurde am 19. August 1858 als Sohn des
bekannten Komponisten und Dirigenten bzw.
Königlichen Hofkapellmeisters Franz Wüllner1) (1832 1902) und dessen Ehefrau
Anna (geb. Ludorff) in Münster
(Westfalen) geboren; er war der Enkel des Philologen Franz Wüllner1) (1798 1842)
und wuchs mit seinen beiden Schwestern Anna und Josefa auf, zu denen er
"lebenslang ein sehr enges künstlerisches wie auch persönliches
Verhältnis hatte".2)
Ab 1865 (bis 1878) lebte er in München, da sein Vater dort mit der Leitung
der "Königlichen Vokalkapelle" betraut worden war. Schon früh kam Wüllner durch sein Elternhaus mit der Musik in Berührung,
erhielt Klavier- bzw. Geigenunterricht und war während seiner Gymnasialzeit
am Münchener "Maximilian-Gymnasium" Mitglied des Schülerchores.
Nach dem Abitur im August 1876 studierte Wüllner vier Jahre lang, anfangs in München sowie
ab November 1878 in Berlin Philologie, 1881 promovierte er in Straßburg zum Dr. phil.
mit dem Thema "Das Hrabanische Glossar und die ältesten Bayrischen Sprachdenkmäler. Eine grammatische
Abhandlung". Anschließend vertiefte Wüllner in Berlin seine Studien,
erhielt dann 1884 eine Anstellung als Privatdozent für germanische Philologie an der
"Königlichen Theologischen und Philosophischen Akademie" in Münster (heute: Westfälische Wilhelms-Universität).
Bis 1887 hatte er diesen Posten inne, trat schon während dieser Zeit
bereits als Geiger, Sänger, Schauspieler und Rezitator
in Erscheinung.
Foto: Ludwig Wüllner als junger Mann
Quelle bzw. Genehmigung: Universitäts- und Landesbibliothek Münster,
Nachlass Wüllner 13,106; © ULB
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Ab 1887 begann Wüllner am Kölner Konservatorium ein Musikstudium,
schulte seine Stimme bei dem Sänger und Gesangspädagogen Benno Stolzenberg
(1827 1906), ließ sich von Gustav Jensen (1843 1895)
in Komposition ausbilden und vervollständigte das Klavierspiel bei Otto Klauwell1)
(1851 1917). Anschließend verschrieb er sich ganz
einer künstlerischen Laufbahn, in einem seiner ersten Auftritte als Konzertsänger brachte er 1888 die Tenorpartie
in der 9. Sinfonie von Beethoven zu Gehör, begleitet von dem Kölner Gürzenich-Orchester unter Leitung seines Vaters.
1889 folgte er einem Ruf an das Meininger Hoftheater, wo er bis 1895 als Helden- und Charakterdarsteller
brillierte. Vier Jahre später verlieh ihm Herzog
Georg II.1)
von Sachsen-Meiningen1) (1826 1914) den Titel "Herzoglich Meiningischer Hofschauspieler".
Neben seinem Engagement in Meiningen, wo er mit Theaterlegenden wie Albert Bassermann3)
(1867 1952) und
Gertrud Eysoldt1) (1870 1955)
auftrat, gab Wüllner Gastspiele an
verschiedensten bedeutenden deutschsprachigen Bühnen, so unter anderem am
Berliner "Deutschen Theater", am Wiener "Burgtheater"
am Münchener "Prinzregententheater" und dem Schauspielhaus in Leipzig,
auch am "Deutschen Theater" in New York konnte er unter anderem
mit seiner Kunst das Publikum begeistern. Sein Operndebüt gab Wüllner 1896 am
"Hoftheater" in Weimar mit der Titelpartie in Richard Wagners
"Tannhäuser".
Foto: Ludwig Wüllner 1890 als Nathan in Lessings "Nathan der Weise"
Urheber: H. Meffert, Photograph/Atelier in Meiningen
Bildrechte/-herkunft: Meininger
Museen: Theatermuseum "Zauberwelt der Kulisse"
Originalfoto sowie weitere Infos bei "Museum digital Thüringen" (www.museum-digital.de)
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Zu seinen herausragenden Bühneninterpretationen mit über 100 Rollen zählten beispielsweise
Titelrollen in Schillers "Wallenstein", Shakespeares
"Hamlet", "Othello" und "König Lear", Goethes
"Faust" und "Egmont" sowie Lessings "Nathan der Weise"
und Molières "Tartuffe". Als Shakespeare-Darsteller begeisterte
er als Shylock in "Der Kaufmann von Venedig", als Brutus bzw. Marcus Antonius
in "Julius Caesar" und als Prospero in "Der Sturm", gab
den Teuthold in "Die Hermannsschlacht" von Heinrich von Kleist,
den Talbot in Schillers "Die Jungfrau von Orléans" und den König Philipp II in
"Don Carlos" (ebenfalls von Schiller).
Doch nicht nur als Charakter-Mime machte sich Wüllner einen Namen, vor allem
als Sänger deutschen Liedgutes wurde er ab Mitte der 1890er Jahre auch international bekannt und oft als
"Kammersänger des deutschen Volkes" bezeichnet. Konzertreisen
führten ihn nach England, die Niederlande, Frankreich, Skandinavien, Russland und die USA. 1910 sang er in New York
die amerikanischen Erstaufführung von Gustav Mahlers
"Kindertotenlieder", die von Mahler selbst geleitet wurde.
Im Alter von 56 Jahren wandte sich Wüllner einem weiteren Metier zu, als brillant-virtuoser Sprecher und Rezitator von Gedichten, Balladen und
Schauspiel-Monologen, vorzugsweise von Goethe und Schiller, war Wüllner ebenfalls
vornehmlich durch seine dramatisch-pathetische Ausdrucksweise und Mimik berühmt.
"Wüllners Technik bestand dann, daß er die Ballade zu einem mächtigen Crescendo
anwachsen ließ, das bereits die unweigerlich drohende Explosion ahnen ließ, die mit
der Gewalt eines Naturereignisses folgte, wie etwa im
"Türmer" der Satz "und die Glocke donnert ein mächtiges Eins", das nun Herr Wüllner
in der Tat derart donnerte, daß die Wände des Blüthner-Saals erzitterten und die Pferde am Potsdamer Platz erschrocken zusammenfuhren.
schreibt unter anderem Hans Sahl1)
(1902 1993)
in seinem Buch "Memoiren eines Moralisten Das Exil im Exil" (1983/1990).
Foto: Ludwig Wüllner um 1910
Urheber: Nicola
Perscheid1) (1864 1930)
Quelle: Wikimedia
Commons bzw. Wikipedia;
Lizenz/Genehmigung siehe hier
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Eindrucksvoll war seine Interpretation des 1902 entstanden Melodrams
"Das Hexenlied" (Musik: Max von Schillings, Text: Ernst von Wildenbruch1)).
Eine Tonaufnahme dieses Werkes entstand 1933 mit dem 74-jährigen Wüllner und den Berliner Philharmonikern
unter der Leitung des Komponisten nur wenige Tage vor Schillings Tod. Es existieren etliche Tonaufnahmen
von Wüllners Sprechstimme, die einen guten Eindruck seines exzentrischen und faszinierenden Sprechstils geben.
Dr. Ludwig Wüllner, Mitglied der Stockholmer "Königlichen Schwedischen Akademie der Musik",
starb am 19. März 1938 im Alter von 79 Jahren in Kiel; er war Träger des
"Ritterkreuzes II. Klasse" sowie des "Ernestinischen Hausordens"
(Herzoglich
Sachsen-Ernestinischer Hausorden1)).
Seine letzte Ruhe fand er in einem Ehren- und Familiengrab auf dem Parkfriedhof Lichterfelde in Berlin-Steglitz
(Grablage: FiW-227). Auf dem Grabstein wurde folgender Spruch eingemeißelt:
"Wer immer strebend sich bemüht, den werden wir erlösen ", Zitat aus dem Chor der Engel im Schlussakt von
"Faust II" → Foto der Grabstelle bei Wikimedia
Commons.
Sein Nachlass mit einer umfangreichen Korrespondenz, Fotos von seiner
Familie und seiner künstlerischen Arbeit, zahlreiche Presseberichte
über seine Auftritte sowie Notensammlungen befindet sich in der Universitäts-
und Landesbibliothek Münster → www.ulb.uni-muenster.de.
Foto: Ludwig Wüllner 1921
Urheber: Minya Diez-Dührkoop1)
(1873 1929)
Quelle: Wikimedia
Commons bzw. Wikipedia;
Lizenz/Genehmigung siehe hier
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Die 1903 gegründete "Ludwig Wüllner-Stiftung", heute der "Universität der
Künste Berlin" angegliedert, hat es sich zum Ziel gesetzt, deutsche Künstler oder
ihrer Hinterbliebenen auf dem Gebiet der Musik, in erster Linie des
Liedvortrags, oder auf den Gebieten der Dichtkunst, der darstellenden oder
rezitatorischen Kunst zu unterstützen.
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